Im Blickpunkt

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Abbildung 19

Einer schwerbehinderten Bewerberin, welcher die fachliche Eignung für eine von einem öffentlich–rechtlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht evident fehlt, ist in der Regel eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen, wenn sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, so ein Urteil der 4. Kammer des VG Mainz vom 28.1.2022 – 4 K 1036/20.MZ. Die Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorliegt, bewarb sich auf eine von einer Verwaltungsbehörde für einen Bürosachbearbeiter ausgeschriebene Stelle. Sie verfügt u. a. über die Fachhochschulreife und eine dreijährige Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie. Die Beklagte teilte ihr mit, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werde, und wies den geltend gemachten Anspruch auf Entschädigung wegen Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch zurück. Zur Begründung führte sie an, dass die in der Ausschreibung verlangte Berufsausbildung zur Kauffrau/zum Kaufmann (alle Fachrichtungen) bei dem Ausbildungsberuf der Fachfrau für Systemgastronomie mangels ausreichender Anteile an kaufmännischen Inhalten nicht gegeben sei. Das VG verurteilte die Beklagte zur Zahlung eines monatlichen Bruttoarbeitsverdienstes der für die ausgeschriebene Stelle geltenden Besoldungsgruppe (2 410 Euro) als Entschädigung nach dem AGG. Das VG sah die Klägerin dadurch benachteiligt i. S. d. AGG, dass sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, obwohl ihr die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich fehlte. Zwar lautet die Berufsbezeichnung der Klägerin nicht auf Kauffrau. Dieser formale Aspekt tritt jedoch hinter den Umstand zurück, dass die Ausbildung nach Auskünften der Industrie- und Handelskammern, einem Ausbildungsportal und dem Ausbildungsanbieter unter Verweis auf die Ausbildungsordnung als kaufmännische Ausbildung angesehen wird. Es fehlt der Klägerin nicht evident an der fachlichen Eignung für die ausgeschriebene Stelle. Die unterlassene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch war gesetzeswidrig. Dieser Pflichtenverstoß begründet auch die (von der Beklagten hier nicht widerlegte) Vermutung des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 i.V. m. § 1 AGG zu Lasten der Klägerin. Die Entscheidung betraf einen öffentlichen Arbeitgeber unter Berücksichtigung von § 165 S. 3, 4 SGB IX, jedoch dürfte gerade deren Begründung, etwa in Abgrenzung zu jüngst LAG Köln, Urteil vom 10.11.2021 – 3 Sa 1187/20, durchaus darüberhinausgehend beachtlich sein.

Prof. Dr. Christian Pelke, Redakteur Arbeitsrecht

BB 2022, 499