Spezialzuständigkeiten für Post-M&A-Streitigkeiten – die richtige Antwort auf die Spezialisierung der Anwaltschaft?

Spezialzuständigkeiten für Post-M&A-Streitigkeiten – die richtige Antwort auf die Spezialisierung der Anwaltschaft?

Abbildung 1

Spezialzuständigkeiten allein ändern nichts an der “Konkurrenzsituation”

Das ist mal was Neues – seit Anfang des Jahres gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Spezialzuständigkeit des Düsseldorfer Landgerichts für Streitigkeiten aus Unternehmenstransaktionen mit einem Streitwert über 500 000 Euro. NRW hat dabei von einer Öffnungsklausel im Gerichtsverfassungsgesetz Gebrauch gemacht, die den Ländern seit dem Jahreswechsel ermöglicht, durch Rechtsverordnung landesweit zuständige Spezialspruchkörper einzurichten.

Gerichtliche Spezialzuständigkeiten sind natürlich keine neue Idee. Schon seit einigen Jahren gibt es bei den Landgerichten obligatorische Spezialkammern, etwa für Streitigkeiten aus Bankgeschäften. Und seit über zehn Jahren gibt es etwa am Düsseldorfer Landgericht eine konzentrierte Zuständigkeit für Patentstreitigkeiten aus ganz NRW. Neu ist, dass die Länder nun vollständige Gestaltungsfreiheit bei der Schaffung landesweiter Spezialzuständigkeiten haben, ohne dabei noch auf spezialgesetzliche Öffnungsklauseln (wie etwa im Patentgesetz) angewiesen zu sein.

Hinter dieser gesetzgeberischen Großzügigkeit steht ausweislich der Gesetzesbegründung der Versuch, die Justiz mit der stetig fortschreitenden Spezialisierung in der Anwaltschaft Schritt halten zu lassen. Das ist ein vernünftiger und zu begrüßender Ansatz. Denn während der Anwalt, der – mal recht, mal schlecht – querbeet durch sämtliche Rechtsgebiete berät, längst eine aussterbende Spezies ist, sind Richter nicht selten mit diversen Zuständigkeiten betraut, die sich bei einer Versetzung oder einer Änderung der Geschäftsverteilung am Gericht auch noch regelmäßig ändern. Um insoweit eine Waffengleichheit herzustellen, ist eine Konzentration bestimmter Verfahren sinnvoll; denn nur durch eine Bündelung der anfallenden Verfahren besteht die Chance für Richter, sich eine den beteiligten Anwälten vergleichbare Erfahrung anzueignen. Kompetente Richter machen Deutschland als Rechtsstandort attraktiv. Das wiederum kommt der deutschen Wirtschaft zugute.

Im Bereich der Unternehmenstransaktionen haben Verfahren vor staatlichen Gerichten bisher Seltenheitswert. Woran das liegt, weiß niemand so richtig. Eine wesentliche Rolle dürfte spielen, dass die Verträge bei M&A-Transaktionen oft so detailliert und ausgefeilt sind, dass sie wenig Raum für Interpretationen und damit wenig Anlass für Streitigkeiten bieten. Es wird im Vorfeld länger verhandelt als früher; dafür wird danach nicht mehr so häufig prozessiert.

Eine andere Vermutung geht dahin, dass interessante Streitigkeiten zu einem großen Teil in Schiedsverfahren ausgetragen werden. Unternehmenskaufverträge enthalten nicht selten Schiedsklauseln, die etwaige Streitigkeiten privaten Schiedsgerichten zuweisen. Solche Gerichte sind regelmäßig mit erfahrenen M&A-Anwälten als Schiedsrichtern besetzt, deren Honorar bei den im Feuer stehenden Streitwerten schnell sechsstellig wird. Dafür erwarten und erhalten die Streitparteien eine zügige und kompetente Erledigung der oftmals sowohl tatsächlich wie rechtlich hochkomplexen Verfahren.

An dieser “Konkurrenz” ändert eine Konzentration von Streitigkeiten bei einer Spezialkammer wenig. Wer also mit guten Gründen den Schritt der Düsseldorfer Landesregierung begrüßt, muss weiter fordern, dass die staatlichen Gerichte auch die entsprechende Infrastruktur vorhalten, um auch umfangreiche und schwierige Prozesse sachgerecht und zügig zu verhandeln. Das fängt bei der sachlichen Ausstattung an. Schiedsgerichte entscheiden nicht zuletzt deshalb vergleichsweise zügig, weil die mündliche Verhandlung nötigenfalls an aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet. Für eine solche Terminierung am Stück fehlen in den meisten deutschen Gerichtsgebäuden schlicht die Räumlichkeiten. Und auch die naheliegende Lösung, Verfahren dann in den virtuellen Raum zu verlegen (was seit Jahren rechtlich wie technisch möglich wäre), wird von den Gerichten nur zögerlich angenommen. Oft fehlt neben der Erfahrung schlicht die Hardware, wovon nachgerade humoristische Gerichtsentscheidungen aus jüngerer Pandemievergangenheit zeugen. So wurde erst 2020 obergerichtlich festgestellt, dass ein Richter (in Ermangelung dienstlichen Equipments) selbstredend auch mit seinem privaten Laptop an einer Webkonferenz zur Verhandlung teilnehmen darf. Wenigstens das wäre also geklärt.

Weiter halten die Länder eisern an ihrem System der richterlichen Personalbedarfsplanung fest: Jeder Verfahrenseingang wird mit einem standardisierten Zeitpensum versehen, in dem der zuständige Richter das Verfahren erledigen muss, will er nicht in Rückstand geraten. So liegt der Fokus unweigerlich mehr auf der Erledigung von Verfahren als auf der Qualität der Entscheidung. Gerade in M&A-Streitigkeiten, bei denen es schnell “um alles” gehen kann, ist das ein Risiko, das die Streitparteien durch eine Schiedsklausel zu umgehen suchen. Wer es also ernst meint mit der Spezialisierung der Gerichte, muss den Richtern auch die Chance geben, komplexe Verfahren mit der gebotenen Muße zu bearbeiten.

Und schließlich: das richterliche Personal. Angesichts der Gehälter, die große Rechtsanwaltskanzleien bereits Berufseinsteigern zahlen, tun sich die Justizminister bei der Einstellung junger Richter immer schwerer. Wer sich, gerade in größeren Städten mit vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten, für ein Salär entscheidet, das kaum mehr als ein Drittel (!) dessen beträgt, was die freiberufliche Konkurrenz bietet, muss schon ein Überzeugungstäter sein. Es stünde den Landesregierungen gut zu Gesicht, durch eine Anhebung der Besoldung die Bedeutung einer hervorragend qualifizierten Richterschaft zu unterstreichen, die kampferprobten Transaktionsanwälten auf Augenhöhe begegnen kann. Denn eine gute Justiz dient dem Wirtschaftsstandort Deutschland und damit uns allen.

Dr. Barbara
Mayer
, RAin/FAinHaGesR, ist Geschäftsführende Partnerin der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen & Partner. Sie ist u. a. Herausgeberin eines Handbuchs zur Aktiengesellschaft sowie eines Kommentars zur SE und berät Unternehmen zu allen Fragen des Aktienrechts sowie im Rahmen von M&A-Transaktionen.

Mayer, BB 2022, Heft 07, Umschlagteil, I