“Relaisstation” CFO – weiterer Wandel der Rolle des Finanzleiters in Zeiten der Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit verstärkt die Bedeutung der Kommunikationsfunktion des CFO, bewirkt aber keinen radikalen Rollenwechsel.
Und schon wieder alles neu? Kaum hat die Digitalisierung im Finanzbereich von Unternehmen umfassend Einzug gehalten und seine Handlungsmöglichkeiten, Instrumente und Prozesse massiv verändert (vgl. dazu Paul, BB 38/2019, Die Erste Seite; Kaserer, BB 38/2021, Die Erste Seite), schon sehen manche Beobachter durch die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit die Notwendigkeit einer weiteren “großen Veränderung” (Deloitte, Quo vadis: Nachhaltigkeit im Finanzbereich, 2021, S. 23). Doch bedeutet der Environmental-, Social- and Governance-(ESG-)Druck tatsächlich einen – erneuten – Umbruch für das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld des Chief Financial Officer (CFO), und wird sein Zusammenspiel mit dem Chief Executive Officer (CEO) einerseits und dem Aufsichtsrat andererseits tangiert?
Für börsennotierte Unternehmen lassen sich die Veränderungen bereits am deutlichsten erkennen, indem man auf den Entwurf zur Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex blickt (abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/konsultationen/aktuelle-konsultationen.html, Abruf: 22.2.2022, s. dazu auch Pott, BB 9/2022, Die Erste Seite). Danach sollen “die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifiziert und bewertet werden. [. . .] Die Unternehmensplanung soll finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Ziele enthalten.” (Empfehlung A.1). Aufgrund der finanziellen Wertrelevanz der genannten Faktoren sowie des eingeforderten Zusammenspiels der Zieldimensionen ergibt sich eine unmittelbare Verantwortlichkeit für den Finanzbereich. Dieser muss in einer Outside-in-Perspektive die unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen der externen Anspruchsgruppen in Bezug auf ESG-Informationen auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren und in effiziente interne Vorgaben zur Erfassung, Aufbereitung und Verknüpfung von ESG-Daten übersetzen. Zugleich muss die Umsetzung der ESG-Integration in einer Inside-out-Perspektive zielgruppengerecht nach außen kommuniziert werden, um die Liquiditätsverfügbarkeit über Banken und den Kapitalmarkt zu erhalten sowie ggf. auch Einsparungs- und Ertragspotentiale heben zu können.
In Bezug auf das Management von ESG-Daten ist die Verantwortung in den meisten Unternehmen zwischen einem eigenständigen Nachhaltigkeits- und dem Finanzbereich aufgeteilt (AKFIN, ESG-Integration im Finanzbereich: Veränderungen für Prozesse, Kommunikation und die Rolle des CFO, Schmalenbach IMPULSE, 2022, abrufbar unter https://www.schmalenbach.org/index.php/publikationen/schmalenbach-impulse, im Erscheinen). Während die inhaltliche Kompetenz für die Erfassung und Bereitstellung von ESG-Informationen in ersterem verankert ist, nimmt der Finanzbereich eine kontrollierende, selektierende Unterstützungsfunktion wahr, um das Datenmanagement hinsichtlich der externen Anforderungen sowie der finanziellen Materialität zu kalibrieren.
Für den CFO folgt daraus die zunehmende Bedeutung seiner Kommunikationsfunktion sowohl unternehmensintern als auch -extern (ebenda): Unternehmensintern muss sich der CFO vermehrt mit anderen Fachbereichen, z. B. im Rahmen der strategischen Finanzplanung oder innerhalb bereichsübergreifender Nachhaltigkeitsgremien, austauschen und abstimmen, sodass die schon mit der “Industrie 4.0” angelegte Tendenz der stärkeren innerbetrieblichen Vernetzung weiter zunimmt.
Dabei muss sich der CFO im Rahmen von Szenarioanalysen künftig mit einem sehr viel breiteren Set von Umfeldfaktoren beschäftigen, um die ESG-Integration im Finanzbereich begleiten zu können. Diese Analysen werden durch die zu erwartende, höhere Datenverfügbarkeit (big data) und gezieltere Datenauswertbarkeit mit Hilfe z. B. von Künstlicher Intelligenz, Machine Learning, Advanced Analytics erleichtert. Der unternehmerische Status quo der ESG-Integration bzw. die Umsetzungseffizienz ist damit stets auch an den Digitalisierungsstand des Unternehmens gebunden. Die gewonnenen Informationen müssen in einem zentralen Datenpool so variabel verfügbar gehalten werden, dass sie von den internen und (ausgewählten) externen Stakeholdern vom Maßstab her und in zeitlicher Hinsicht beliebig “gezoomt” werden können. Dann würden sie sowohl einen tiefen Blick auf die Nachhaltigkeitsbemühungen einzelner Unternehmensbereiche als auch auf die Gesamtunternehmensentwicklung mit Blick auf die ESG-Ziele erlauben – und dies sowohl rückblickend als auch szenariogestützt auf die Zukunft gerichtet.
Damit wird auch die durch die Digitalisierung bereits angestoßene Veränderung im Rollenbild des CFO weiter forciert. Unverändert unterstützt er zwar als “Business Stewart” die Planung, Steuerung und Kontrolle der finanziellen, operativen und – nun auch nachhaltigkeitsbezogenen – Performance der Geschäftsbereiche und weist ihnen als “Business Partner” – vermehrt nachhaltige – Finanzierungsmittel zur Erreichung ihrer strategischen Ziele zu. Zugleich wird er jedoch immer mehr zum “Transformationsagenten”, der sowohl die “starken” als auch die (bei ESG vielfach) eher “schwachen” Signale aus dem Umfeld bündelt, interpretiert und zielgerichtet in die relevanten Teilbereiche der Unternehmung gibt, um die Umgestaltung ihres Geschäftsmodells in Richtung Nachhaltigkeit zu forcieren. Damit fungiert er als “Relaisstation”, die Informationen empfängt und wieder aussendet – meist unter Verstärkung der Signale.
Dadurch festigt sich der Anspruch des CFO, mit dem CEO “auf Augenhöhe” zu agieren, auch wenn diesem der Nachhaltigkeitsbereich vielfach direkt zugeordnet ist. Da der CFO im Rahmen der Wertsteuerung die Brücke zwischen Nachhaltigkeit und Finanzen schlägt, dürfte sich sein Austausch mit dem Aufsichtsrat – zumindest mit dem Nachhaltigkeitsexperten in diesem Gremium – weiter intensivieren. Das Verfolgen der Nachhaltigkeitsziele bedeutet insofern keinen radikalen Umbruch von Aufgaben und Rolle des CFO, sondern beschleunigt den Entwicklungspfad der vergangenen Jahre und macht den CFO für die Unternehmung im wahrsten Sinne noch “wertvoller”.
Prof. Dr. Stephan
Paul
ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, leitet den Arbeitskreis “Finanzierung” (AKFIN) der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. und forscht über die Konsequenzen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit für die Unternehmensfinanzierung.
Paul, BB 2022, Heft 13, Umschlagteil, I