Zur Jahresabschluss-Saison: Unsicherheiten in der Finanzberichterstattung transparent machen!

Zur Jahresabschluss-Saison: Unsicherheiten in der Finanzberichterstattung transparent machen!

Abbildung 1

Von besonderer Bedeutung werden hierbei auch aussagekräftige Risiko- und Prognoseberichterstattungen im Lagebericht sein

Gesellschaft, Politik und Wirtschaft begegnen derzeit vielschichtigen, z. T. interdependenten Herausforderungen, die zu erheblichen Unsicherheiten und Risiken führen: der Krieg Russlands gegen die Ukraine, Handelsbeschränkungen und Sanktionen, steigende Energiekosten, Lieferkettenengpässe, hohe Inflationsraten und steigende Zinsen sowie die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen China und der westlichen Welt. Welche konkreten Auswirkungen diese Polykrise auf Unternehmen hat, wird auch davon abhängen, wie staatliche Unterstützungsleistungen für Verbraucher und Unternehmen in ihrer Gesamtheit sowie branchen- bzw. sektorspezifisch ausgestaltet werden und wie sie – unmittelbar oder mittelbar – wirken.

Viele Unternehmen erstellen derzeit ihre Finanzberichte für das Geschäftsjahr 2022. Die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bilds der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen bzw. einer Fair Presentation ist in diesen Zeiten von besonderer Bedeutung. Die Herausforderungen bei der Aufstellung der Berichte sind groß. Es gilt, die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen und Unsicherheiten transparent zu machen.

Die Unsicherheiten wirken sich auf Prognosen aus, die beispielsweise relevant sind für die Bilanzierung von Goodwills, aktiven latenten Steuern und Rückstellungen. Prognosen des Managements müssen auf vertretbaren Annahmen basieren. Vergangenheitsbasierte Annahmen können angesichts der Risikolage oftmals nicht unverändert fortgeschrieben werden. Dabei erhöhen die aktuellen Entwicklungen den Druck auf aktivierte Beträge. Dies ist evident bei der Bewertung des Goodwill: Der dem letzten Buchwert gegenüberzustellende Vergleichswert reduziert sich im Barwertkalkül sowohl durch ggf. eingetrübte Ertrags- bzw. Cashflow-Erwartungen (im Zähler) als auch durch steigende Kapitalisierungszinssätze (im Nenner). Besonders betroffen sind hierbei IFRS-Bilanzierer, da – im Unterschied zum Handelsrecht – ein aktivierter Goodwill nicht planmäßig abgeschrieben wird.

Durch die vielseitige Risikolage waren zum Geschäftsjahresende 2022 im Vergleich zum Jahresanfang an den Aktienmärkten beachtliche Kursverluste festzustellen. Sofern Aktien im Umlaufvermögen gehalten oder wie Umlaufvermögen zu bewerten sind, sind die Buchwerte auf den niedrigeren Börsenkurs am Abschlussstichtag abzuschreiben. Sofern Aktien hingegen dem Anlagevermögen zugeordnet sind, ist eine Abschreibung handelsrechtlich nur dann zwingend, wenn es sich um eine voraussichtlich dauernde Wertminderung handelt. Ansonsten besteht ein Abschreibungswahlrecht. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung liegt beispielsweise dann vor, wenn der Börsenkurs der Aktie in den dem Abschlussstichtag vorangehenden sechs Monaten permanent um mehr als 20 % unter dem Buchwert lag.

Darüber hinaus haben insbesondere aufgrund der Zinswende viele festverzinsliche Anleihen erheblich an Wert verloren, so dass die Stichtagswerte einiger Schuldtitel deutlich unter dem Buchwert liegen. Ob diese Kursverluste zu zwingenden Abschreibungen führen, hängt handelsrechtlich ebenfalls davon ab, ob die Papiere dem Anlage- oder dem Umlaufvermögen zuzuordnen sind. Unter der Voraussetzung, dass das jeweilige Unternehmen die Absicht hat und dazu fähig ist, die Anleihe bis zur Endfälligkeit zu halten, besteht für rein zinsinduzierte Wertverluste – im Unterschied zu bonitätsbedingten Wertminderungen – handelsrechtlich keine Abschreibungspflicht. Dies leuchtet auch ein: Wenn das Unternehmen diese Papiere bis zur Endfälligkeit halten wird, ist bei unverändert guter Bonität des Emittenten nicht von einem Zahlungsausfall auszugehen. Sofern die Wertminderung voraussichtlich nicht von Dauer ist und keine Abschreibung vorgenommen wird, ist hierüber aber im Anhang zu berichten.

Ferner werden sich die Unternehmen mit der Werthaltigkeit ihrer Forderungen auseinandersetzen müssen. Banken bewerten hierzu eine Vielzahl von Kreditausreichungen. Sofern Unsicherheiten bzw. bestehende Risiken zum Abschlussstichtag nicht im Rahmen der Anwendung etablierter Bewertungsmodelle angemessen berücksichtigt werden können, werden diese über sog. Post-Model Adjustments abgebildet. Während der Corona-Pandemie erhöhten insbesondere (Kredit-) Institute auf diesem Wege ihre bereits ermittelte Risikovorsorge nach IFRS. Solche Anpassungen sind ggf. bei der Ermittlung von Pauschalwertberichtigungen von Banken nach HGB zu prüfen. Auch bei der Berechnung der erwarteten Kreditverluste für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von Unternehmen der Realwirtschaft sind gegenwärtige und zukunftsgerichtete Informationen zu berücksichtigen. Im Fall der Verwendung von Wertberichtigungstabellen müssen die genutzten Wertberichtigungsquoten, die regelmäßig aus den bisherigen Erfahrungen der bilanzierenden Unternehmen aus der Vergangenheit abgeleitet werden, im Hinblick auf die aktuelle Situation kritisch beurteilt und bei Bedarf angepasst werden.

In der aktuellen Situation ist eine transparente Berichterstattung besonders wichtig. Die Adressaten sollen dadurch in die Lage versetzt werden, die Überlegungen und Einschätzungen des Managements nachvollziehen zu können, sodass sie sich ein eigenes Bild von der Lage des Unternehmens machen können. Von besonderer Bedeutung werden hierbei auch aussagekräftige Risiko- und Prognoseberichterstattungen im Lagebericht sein.


Prof. Dr.
Klaus-Peter
Naumann
, WP/StB, ist seit 2001 Sprecher des Vorstands des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW), Düsseldorf, in dem er seit 1989 tätig ist. Er hatte 1991–2009 einen Lehrauftrag an der Georg-August-Universität in Göttingen und wurde dort 1997 zum Honorarprofessor ernannt. Seit 2009 lehrt er als Honorarprofessor am Institut für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist seit 2011 Mitglied im Verwaltungsrat des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) und wurde 2015 zum Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex berufen.

Naumann, BB 2023, Heft 12, Umschlagteil, I