Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – das IDW modernisiert den IDW S 1 zur Unternehmensbewertung

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – das IDW modernisiert den IDW S 1 zur Unternehmensbewertung

Abbildung 1

Mit der Neufassung verabschiedet sich das IDW endgültig vom überholten Konzept der Bewertung des “Unternehmens, wie es steht und liegt”.

Erst sechzehn Jahre nach Verabschiedung des derzeit gültigen IDW-Standards zur Unternehmensbewertung (IDW S 1 i. d. F. 2008) hat der zuständige Fachausschuss (FAUB) im November 2024 den Entwurf einer Neufassung veröffentlicht. Der noch nicht abschließend abgestimmte Text weicht nicht nur in Aufbau und Begrifflichkeiten vom bisherigen Standard ab, sondern sieht auch weitreichende inhaltliche Änderungen vor (s. dazu auch Thees, BB 2024, 299 ff., in diesem Heft). So wird die Rolle des Wirtschaftsprüfers bei Unternehmensbewertungen funktional weiter ausdifferenziert und – insbesondere bei “objektivierten” Unternehmenswerten – seine Verantwortung für die Plausibilisierung der Zukunftserfolgsplanung deutlich gestärkt. Überdies unterscheidet der Entwurf nun – je nach Wertkonzept – zwischen der Tätigkeit als Gutachter, Sachverständiger und Berater, die – je nach Auftrag – ein Gutachten, eine Stellungnahme oder eine bloße Wertberechnung anfertigen. Ob die neuen Definitionen in der Praxis zu mehr Transparenz führen oder lediglich Verwirrung stiften werden, weil die betreffenden Begriffe bisher weitgehend synonym verwendet werden, bleibt abzuwarten. Richtig ist aber, dass jede sachgerechte Bewertung immer nur “zweckorientiert” erfolgen kann und das konkrete Bewertungsziel vom Auftraggeber vorgegeben wird.

Von ungleich größerer praktischer Bedeutung sind die Änderungen beim Konzept des “objektivierten” Unternehmenswerts, der vor allem bei rechtlichen Bewertungsanlässen zu ermitteln ist. Diese Modifikationen betreffen insbesondere das Verhältnis von Bewertungsgrundlage und Unternehmensplanung, die Einbeziehung von potentiellen Synergieeffekten und das Stichtagsprinzip. Der Entwurf reagiert damit nicht nur – wie es in der Präambel heißt – auf “neuere Entwicklungen aus dem nationalen und internationalen Bewertungsumfeld”, sondern das IDW verabschiedet sich mit der Neufassung endgültig vom überholten Konzept der Bewertung des “Unternehmens, wie es steht und liegt.”

Mit Recht betont die Neufassung die Verantwortlichkeit des Wirtschaftsprüfers für die Zukunftserfolgsplanung. Denn gerade bei “objektivierten” – also intersubjektiv nachvollziehbaren – Unternehmenswerten darf der Bewerter bei der Ermittlung des Zukunftserfolgs nicht einfach die vorhandene Managementplanung ungeprüft übernehmen, sondern muss – wie dies schon länger im Schrifttum gefordert wird – diese eigenständig plausibilisieren und ggf. anpassen oder sogar ersetzen. Diese Plausibilisierung ist nicht auf eine interne rechnerische und materielle Richtigkeitsprüfung beschränkt, sondern soll auch externe Markt- und Wettbewerbsanalysen einbeziehen. Im Rahmen einer “objektivierten” Wertermittlung sind nach dem Entwurf – anders als bisher – auch “plausible” Synergiepotentiale zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob ihre Umsetzung zum Stichtag bereits eingeleitet war oder nicht. Dieser Paradigmenwechsel ist zugleich Ausdruck eines gewandelten Verständnisses des Stichtagsprinzips, dem in der Neufassung zu Recht vor allem eine “Informationsabgrenzungsfunktion” beigelegt wird. Darüber hinaus finden sich im Entwurf zahlreiche weitere begriffliche und inhaltliche Modifikationen des bisherigen Standards. So soll – 25 Jahre nach Einführung der Nachsteuerbewertung im IDW S 1 (2000) – erstmals wieder eine Bewertung ohne Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern der Eigenkapitalgeber erlaubt werden. Zudem sind die Ausführungen zur Ermittlung eines Liquidationswerts und zur Anwendung marktpreisorientierter Bewertungsverfahren deutlich erweitert worden.

Was bedeutet dies alles für rechtlich veranlasste Unternehmensbewertungen wie z. B. die Spruchverfahren, die in Deutschland – anders als im Ausland – bisher sehr stark durch die berufsständischen Bewertungsstandards bestimmt werden? Insofern ist zunächst daran zu erinnern, dass IDW-Standards als “anerkannte Expertenmeinung” lediglich die aktuelle Auffassung des Berufsstands wiedergeben und keine unmittelbare rechtliche Bindung entfalten. Schon heute gibt es Bereiche, in denen Rechtsprechung und IDW-Standard divergieren. So bezeichnet auch die Neufassung die im Familienrecht verbreitet angewandte “modifizierte Ertragswertmethode” explizit als “nicht sachgerecht” und lehnt – allerdings ohne ausdrücklichen Hinweis auf die abweichende Rechtsprechung des BGH (BGH, 21.2.2023 – II ZB 12/21, BGHZ 236, 180) – eine ausschließlich auf Börsenkurse gestützte Wertermittlung weiterhin ab. Da viele der im Entwurf vorgesehenen Änderungen – wie z. B. die vollumfängliche Plausibilisierung der Managementplanung und die verstärkte Einbeziehung von Synergieeffekten – dazu beitragen könnten, ausscheidende Minderheitsgesellschafter stärker als bisher am “wirklichen” Wertpotential des Unternehmens zu beteiligen, dürften sie im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vielfach auf Zustimmung stoßen. Gleichwohl bleibt abzuwarten, inwieweit sie Eingang in die bisher eher zurückhaltende Rechtsprechung finden werden. Diese Frage stellt sich übrigens nicht nur für Bewertungsstichtage nach der endgültigen Verabschiedung des Entwurfs durch das IDW. Denn nach der zutreffenden Ansicht der BGH ist eine “rückwirkende” Anwendung neuer Bewertungsstandards nicht nur rechtlich zulässig, sondern im Zweifel auch geboten, weil für den im Lichte neuerer Erkenntnisse überarbeiteten Standard eine Art “Überlegenheitsvermutung” gilt (BGH, 29.9.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114). Die Neufassung des IDW-Standards wird den Spruchgerichten also schon bald Gelegenheit geben, ihre bisherige Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Dialog mit der betriebswirtschaftlichen Bewertungspraxis zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. Rainer
Hüttemann
lehrt Bürgerliches Recht, Handels-, Bilanz- und Steuerrecht an der Universität Bonn und ist Direktor des Instituts für Steuerrecht. Zu seinen Forschungsinteressen gehören auch Rechtsfragen der Unternehmensbewertung.

Hüttemann, BB 2025, Heft 06, Umschlagteil, I