Kein Stiftungsrecht ohne Stiftungsaufsicht

Kein Stiftungsrecht ohne Stiftungsaufsicht

Abbildung 1

“Die staatliche Obhut über Stiftungen rechtfertigt sich aus dem besonderen Schutzbedürfnis der rechtsfähigen Stiftung als mitgliederloser Rechtsperson und dem Interesse des Rechtsverkehrs an einem rechtmäßigen Handeln der Stiftungsorgane.”

Durch das zum 1.7.2023 in Kraft getretene Bundesstiftungsrecht ist das Recht der rechtsfähigen Stiftung vereinheitlicht und abschließend in die §§ 80 ff. BGB überführt worden. Die 16 Landesstiftungsgesetze sind damit praktisch zu bloßen Zuständigkeits- und Aufsichtsgesetzen “degradiert” worden. Die Bundesländer dürfen also nur noch die Eingriffsinstrumente der staatlichen Stiftungsaufsicht gestalten und die für sie zuständigen Behörden festlegen. Leider haben die Landtage die damit verbundene Chance für eine sinnvolle Vereinfachung und Vereinheitlichung des Landesstiftungsrechts (konkrete Vorschläge dazu bei Hüttemann/Rawert, ZIP 2021, Beil. zu Heft 33) nicht genutzt.

Ganz im Gegenteil: Sofern sie ihre Gesetze überhaupt rechtzeitig angepasst haben, haben sie sich eher darum bemüht, ihre Landesstiftungsgesetze nach Art eines “Marktplatzes föderaler Eitelkeiten” noch “origineller” zu gestalten, überkommene Eigenheiten (z. B. das “Hamburger Stifterprivileg”) zu pflegen und sich neue Besonderheiten (z. B. eine Schleswig-Holsteinische Pflichtprüfung für “große” Stiftungen mit Vermögen über 2 Mio. Euro) auszudenken. Während also der bürokratische Aufwand einerseits zuzunehmen droht, steht anderseits zu befürchten, dass die aktuelle Reform den Ausstieg des Staats respektive zum Teil gar seine regelrechte Flucht aus der Stiftungsaufsicht weiter vorantreibt. Ein Beispiel bilden die in vielen Landesgesetzen vorgesehenen “Aufsichtsexklaven” für “private” Stiftungen, wie z. B. Familienstiftungen, mit denen der Staat deren Organen weitgehend “freie Hand” lässt. Besonders liberal gibt sich hier ausgerechnet der Freistaat Bayern. Weil er auf jegliche Kontrolle privater Stiftungen verzichtet, empfiehlt er sich im “Forum Shopping” als deutsches “El Dorado” für eine (oft nur vordergründig vorteilhafte) private Erbrechtssetzung mittels Stiftungsmodellen.

Die traditionelle Rechtfertigung für solche Ausnahmen lautet: Bei nicht gemeinnützigen Stiftungen besteht kein hinreichendes “Allgemeininteresse” an einer behördlichen Prüfung. Diese Argumentation übersieht freilich, dass es heute – anders als im 19. Jahrhundert – nicht mehr die Stiftungszwecke sind, die eine staatliche Aufsicht nahelegen. Die staatliche Obhut über Stiftungen rechtfertigt sich vielmehr aus dem besonderen Schutzbedürfnis der rechtsfähigen Stiftung als mitgliederloser Rechtsperson und dem Interesse des Rechtsverkehrs an einem rechtmäßigen, d. h. gemeinwohlkonformen Handeln der Stiftungsorgane. Die im BGB für alle rechtsfähigen Stiftungen vorausgesetzte Stiftungsaufsicht ist daher gleichsam Ausdruck einer nicht zuletzt grundrechtlich gebotenen Ingerenzpflicht des Staats in Folge der behördlichen Anerkennung von Stiftungen als Rechtsperson. Zwar erscheint es de lege ferenda nicht ausgeschlossen, die Kontrollspanne der staatlichen Aufsicht im Sinne einer Subsidiarität dort graduell zurückzunehmen, wo Stifterinnen und Stifter hinreichende “interne” Governance-Strukturen geschaffen haben. Auch dieser Ansatz muss dann aber für alle Stiftungen gelten und rechtfertigt keine Unterscheidung nach Stiftungszwecken.

Rechtspolitisch ist der Gedanke, der Staat solle sich aus Kostengründen aus “privaten” Stiftungen heraushalten, ohnehin kurzsichtig. Dies zeigt das Beispiel der “Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern”, die mangels steuerlicher Gemeinnützigkeit nach dem Maßstab vieler Landesgesetze als “private” Stiftung (!) gelten würde. Auch bei der wachsenden Zahl von Großunternehmen in der Hand von Familienstiftungen ist ein weiterer Rückzug aus der Aufsicht nicht zu empfehlen, weil der Staat solche Stiftungen dann bei Binnenkonflikten (wie jüngst bei “ALDI-Nord”) ihren Organen regelrecht ausliefern würde. “Aufsichtslücken” bei inländischen privaten Stiftungen sind schließlich auch deshalb gefährlich, weil sie die tradierte kollisionsrechtliche Rechtfertigung der Sitztheorie im deutschen Stiftungsrecht unterlaufen und einem bedenklichen “Stiftungstourismus” und “Race to the bottom” in Europa den Weg ebnen könnten.

Allerdings steht auch bei der Aufsicht über die große Mehrheit der “gemeinwohlfördernden” Stiftungen nicht alles zum Besten: Tatsächlich ist zu beobachten, dass sich der “Flickenteppich” landesrechtlicher Aufsichtsregelungen latent vergrößert. Ferner dürften die neuen Stiftungsgesetze die schon bisher zu beobachtende Tendenz mancher Aufsichtsbehörden, die Prüfung der Geschäftsführung von Stiftungen auf Wirtschaftsprüfer “auszulagern”, die dann auf Rechnung der betroffenen Stiftung z. B. die Vermögenserhaltung prüfen sollen, noch weiter verstärken. Ein weiterer Grund für diese Entwicklung ist sicher auch die Überlastung vieler Aufsichtsbehörden, deren Mitarbeiterzahl in den letzten zwanzig Jahren unverändert geblieben ist, obwohl sich die Zahl der Stiftungen mehr als verdoppelt hat. Stiftungsberater berichten schon länger von zunehmenden Bearbeitungszeiten, die zugleich zeigen, was von den politischen “Sonntagsreden” zur Bedeutung des gemeinnützigen Stiftungssektors zu halten ist. Hier ist angesichts einer wachsenden Zahl “notleidender Stiftungen” ohne ausreichendes Finanz- und Humankapital ein Umdenken angesagt, wenn die Aufsichtsbehörden auch künftig ihrer Kontroll- und Beratungsfunktion gerade bei kleineren und mittleren Stiftungen zu deren Schutz noch nachkommen können sollen.

Prof. Dr. Rainer
Hüttemann
lehrt Bürgerliches Recht, Handels-, Bilanz- und Steuerrecht an der Universität Bonn und ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht. Er ist u. a. Mitautor der Kommentierung des Stiftungsrechts im Staudinger (2017) und Mitherausgeber einer Gesamtdarstellung des Landesstiftungsrechts (2011). Von 2002 bis 2011 gehörte er dem Vorstand des Bundesverbands Deutscher Stiftungen e.V. an. Die aktuellen Reformen des Stiftungsrechts hat er auf Bundes- und Landesebene als Sachverständiger begleitet.

Hüttemann, BB 2023, Heft 48, Umschlagteil, I