Im Blickpunkt

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Abbildung 13

In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. Dies entschied das BAG mit Urteil vom 29.6.2023 – 2 AZR 296/22 – (PM Nr. 31/2023). Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm u. a. vor, eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Dagegen wehrte sich der Kläger. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot. Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des BAG großteils Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Dieses hätte nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen müssen. Dies folge aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts. Dabei spielt es nach dem Senat keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des BDSG bzw. der DSGVO entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung – wie hier – offen erfolge und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. Vorliegend war eine etwaig entgegenstehende “schwerwiegende Grundrechtsverletzung” des Klägers nicht gegeben.

Prof. Dr. Christian Pelke, Ressortleiter Arbeitsrecht

BB 2023, 1651