Braucht es ein Ukraine-Insolvenzaussetzungsgesetz?

Braucht es ein Ukraine-Insolvenzaussetzungsgesetz?

Abbildung 1

Ukraine-Krieg erfordert keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Durch das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, S. 569 ff. – COVInsAG) wurde eine temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht angeordnet. Die Regelung wurde mehrfach verlängert, zuletzt durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen vom 15. Februar 2021 (BGBl. I 2021, S. 237) bis zum 30. April 2021. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 vom 10. September 2021 (BGBl. I 2021, S. 4149 ff.) ist am 31. Januar 2022 ausgelaufen, so dass seit einigen Monaten wieder die reguläre Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO bzw. § 42 Abs. 2 BGB gilt. Gleichwohl vermeldete das Statistische Bundesamt in seiner Fachserie 2 Reihe 4.1 (Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren) für das Jahr 2021 lediglich 13.993 Insolvenzverfahren (Vorjahr: 15.841). Die geltend gemachten Forderungen betragen voraussichtlich rund 56,1 Mrd. Euro; es sind rund 75.700 Arbeitnehmer betroffen. Am 11. Mai 2022 meldete das Statistische Bundesamt für Februar 2022 5,3 % weniger Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Februar 2021. Die Insolvenzgerichte haben für Februar 2022 lediglich 1.132 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Dies waren 5,3 % weniger als im Februar 2021 und rund 34 % weniger als im Januar 2020, also vor der Pandemie.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führt u. a. zu einer Steigerung der Energiepreise, die Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen trifft. Der Erdgas-Index lag im Jahresdurchschnitt 2021 bei 62,5, im März 2022 betrug er 337,6 (Vorjahresmonat: 83,5). Das ist sicherlich nicht allein auf den Krieg zurückzuführen; allerdings ist nicht zu verkennen, dass Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb einen hohen Bedarf an Energie, insbesondere Strom und Gas, erfordert, schnell in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wenn sie diese Preiserhöhungen nicht weitergeben können. Die Stadtwerke Osnabrück haben z. B. angekündigt, die Gaspreise zum 1. Juli 2022 verdoppeln zu wollen.

Am 26. April 2022 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Änderung des zu Zeiten der Ölkrise geschaffenen Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) beschlossen, der Preisanpassungsrechte bei verminderten Gasimporten vorsieht. Gem. § 24 Abs. 1 EnSiG-RegE haben die Energieversorgungsunternehmen das Recht, die Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen, wenn die Bundesnetzagentur nach Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland festgestellt hat. Ungeachtet dessen, dass die Vorschrift zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe wie “erhebliche Reduzierung” und “angemessenes Niveau” enthält, die letztlich von der Rechtsprechung ausgefüllt werden müssen, lässt die in § 24 Abs. 4 EnSiG-RegE vorgesehene Regelung, dass § 104 InsO, der Sonderregelungen zu Fixgeschäften, Finanzleistungen und vertraglichem Liquidationsnetting enthält, unberührt bleibt, aufhorchen. Nachdem der BGH (Urteil vom 9.6.2016 – V ZR 314/14, BB 2016, 1551 ff.; vgl. Piekenbrock, BB 2016, 1795 ff.) Vereinbarungen zur Abwicklung von Finanzmarktkontrakten als unwirksam erachtet hat, soweit sie für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei Rechtsfolgen vorsehen, die von § 104 InsO abweichen, haben die Banken nicht etwa ihre Verträge geändert, sondern der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes betreffend die Einführung der ZPO vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, S. 3147) die Insolvenzordnung. Zu Recht kritisch merkt Marotzke (in: Kayser/Thole, InsO – Kommentar, 10. Aufl. 2020, § 104 InsO Rn. 17) an, dass im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens auch der Energiehandel “bedient worden” sei. Diese Privilegien sollen offenbar nunmehr erhalten werden.

Neben den steigenden Energiepreisen werden viele Unternehmen massiv dadurch belastet, dass sie ihre Forderungen gegen Geschäftspartner ganz oder teilweise abschreiben müssen, weil diese nicht mehr durchsetzbar sind, worauf das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland mit seinem Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung vom 14. April 2022 zu Recht hingewiesen hat. Weiterhin werden Unternehmen ihr Geschäftsmodell nicht mehr unverändert weiterführen können, wenn sie in erheblichem Maße auf Energie angewiesen sind und die nunmehr durch § 24 Abs. 1 EnSiG-RegE zu erwartenden Preissteigerungen nicht an ihre Kunden weitergeben können. Wie ernst die Lage ist, zeigt sich u. a. daran, dass die Bundesnetzagentur am 20. April 2022 die Gasnetzbetreiber durch Allgemeinverfügung aufgefordert hat, bis zum 28. April 2022 Großverbraucher zu melden.

Der Gesetzgeber sollte gleichwohl nicht der Versuchung erliegen, nunmehr aufgrund des Ukraine-Krieges erneut die Insolvenzantragspflicht auszusetzen. Jede Aussetzung der Antragspflicht gefährdet die Gläubiger und damit die Existenz der Vertragspartner. Die angekündigten temporären Entlastungen werden nicht ausreichen, die Folgen der Energiepreiserhöhungen aufzufangen. Dies wird viele Unternehmen massiv treffen, darf aber keine Rechtfertigung dafür sein, erneut die Insolvenzantragspflicht auszusetzen.

Prof. Dr. Jens M.
Schmittmann
, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der SteuerBerater.

Schmittmann, BB 2022, Heft 20, Umschlagteil, I