Die Geburtsstunde des AGBG – ein persönlicher Rückblick auf den 1. April 1977

Die Geburtsstunde des AGBG – ein persönlicher Rückblick auf den 1. April 1977

Abbildung 1

 

AGB-Grundsätze – bestandsfest seit mehr als 45 Jahren

Es muss so um den 9./10. Dezember 1976 gewesen sein: Ein freudig-lebhafter Anruf von Walter Löwe: “Es ist schon ein tolles Gefühl, im Gesetzblatt das AGBG zu finden” (BGBl. v. 9.12.1976, 3317). Die Freude war auf beiden Seiten: Walter Löwe war Mitglied der vom damaligen Bundesjustizminister Gerhard Jahn (SPD) berufenen Experten-Kommission zur Erarbeitung eines strikt auf den Verbraucherschutz begrenzten AGBG. Ende des Jahres 1972 hatte diese Arbeitsgruppe ihre Arbeit aufgenommen. Für mich war die damalige Gesellschafts- und Verbraucherpolitik der SPD/FDP-Regierung Anlass, einen recht kritischen Artikel in der Wochenzeitung “Rheinischer Merkur” zu veröffentlichen. Motto: Die CDU/CSU verschläft die Bedeutung des Verbraucherschutzes.

Dieser Mahnruf war Anlass für Friedrich Vogel, MdB (CDU), den damaligen rechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und Vorsitzenden des Bundesarbeitskreises Christdemokratischer Juristen (BACDJ), mich rügend anzurufen. Sozusagen als “Strafe” nahm er mich “aus dem (journalistischen) Markt”. Ohne sich um mein fehlendes Fachwissen zu scheren, bot er mir an: Mitarbeit in einer neuen, vom BACDJ bestellten Anti-SPD-Kommission, Aufgabenstellung: Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs zum AGB-Recht. Ein Wurf in sehr kaltes Wasser; ich war damals erst seit gut zwei Jahren Syndikusanwalt. Doch Trost stand bereit: Ich durfte einen “Freund” als weiteres Mitglied der Kommission benennen: Reinhold Trinkner, der damalige Schriftleiter Wirtschaftsrecht des “Betriebs-Berater”, sagte freudig zu.

Knapp 18 Monate später legte unsere Kommission einen Gesetzesentwurf vor (BB-Beilage Nr. 9/1974 – weitgehend identisch mit dem CDU/CSU-Entwurf – BT-Drucks. 7/3200). Seine Besonderheit: Auch die zwischen Kaufleuten verwendeten AGB sind der richterlichen Inhaltskontrolle zu unterwerfen (§ 25). Denn: “Die Schutzbestimmungen des Entwurfs sind fast durchweg als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben anzusehen und damit dem Gebot, Gerechtigkeit zu verwirklichen, verpflichtet.” Folgerichtig knüpft auch die Regel des § 7 AGBG in ihrem Absatz zwei (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) – so die Gesetzesbegründung – bei der Inhaltskontrolle des kaufmännischen Verkehrs an “die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die sog. Leitbildfunktion der geschriebenen und ungeschriebenen Normen des dispositiven Rechts” an (BT-Drucks. 7/3919, 23). Genau dieser Grundsatz ist auch heute noch immer der Maßstab der BGH-Rechtsprechung (BGH, 27.4.2021 – XI ZR 26/20, BB 2021, 1488, 1490 f., Rn. 22 ff.; BGH, 4.7.2017 – XI ZR 562/15, BB 2017, 2058, 2061 ff., Rn. 37 ff., Rn. 66).

Auch ein weiterer Grundsatz galt schon vor mehr als 45 Jahren: Die zentrale Funktion – der Schutzzweck der richterliche Inhaltskontrolle – zielt auch im kaufmännischen Bereich dahin, der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit durch den Verwender entgegenzuwirken, “wenn die Grundsätze der Vertragsgerechtigkeit in nicht zu billigender Weise verletzt sind” (BGH, 4.7.2017 – XI ZR 562/15, BB 2017, 2058, 2063, Rn. 64). Dieses Zitat beruht, wie der dortige Zitationsverweis belegt, auf dem Urteil des BGH vom 7.7.1976: “Da das dispositive Recht für jeden Vertragstypus einen an der Gerechtigkeit orientierten Ausgleich der Interessen der Vertragspartner enthält, kann die gesetzliche Regelung durch AGB wirksam nur ersetzt werden, wenn diese eine dem Gesetz vergleichbare Güterabwägung enthalten und keine der Billigkeit widersprechende missbräuchliche Verfolgung einseitiger Interessen auf Kosten des Geschäftspartners bedeuten” (BGH, 7.7.1976 – IV ZR 229/74, NJW 1976, 2345, 2346).

Im gleichen Urteil findet sich noch ein weiterer historischer Beleg für die nach den Gerechtigkeitsforderungen des dispositiven Rechts gebotene Gleichbehandlung zwischen Verbrauchern und Kaufleuten (so jetzt BGH, 4.7.2017 – XI 562/15, BB 2017, 2058, Rn. 66): “Es ist nicht sachgerecht, zwischen den Beteiligten zu differenzieren. Die Rechtsprechung des BGH verzichtet deshalb bewusst darauf, ein wirtschaftliches oder intellektuelles Übergewicht auf Seiten des Aufstellers der AGB oder die Schutzbedürftigkeit des anderen Vertragspartners festzustellen.”

Sehr genau erinnere ich mich im Übrigen an ein Hearing: Die Frage sollte debattiert werden, wieweit der AGB-rechtliche Schutz der Kaufleute gegenüber AGB-Klauseln gehen soll. Vor allem der BDI (Dr. Eberstein) plädierte mit Verve für Vertragsfreiheit, auch für Flexibilität und betrachtete die Mehrzahl der gegenüber den Kaufleuten ergangenen BGH-Urteile als “Einzelfallentscheidungen”. Der erzielte Kompromiss stand dann im CDU/CSU-Entwurf (BT-Drucks. 7/32000 – § 25): Verschiedene Verbotsnormen des Verbraucherverkehrs sollten (etwas restriktiver als das geltende Recht) nicht auf AGB in einem “Handelsgeschäft eines Kaufmanns” anwendbar sein. Dann aber der entscheidende Satz: “Soweit die Vertragsbestimmungen unter Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche nicht nach § 7 (Generalklausel – ähnlich wie jetzt § 307 BGB) unwirksam sind.” Diese Referenz war § 346 HGB pur. Doch aus zwingenden dogmatischen Gründen ist diese Norm niemals in der Lage, die Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln als zwingendes Recht (§ 7 des Entwurfs) auszuschalten oder weich zu spülen. Das war den Mitgliedern unserer Kommission sogleich klar: Hier regierte schlicht die politische Kraft der Leerformel; die FDP sah’s mit Genugtuung.

Keine Rückbesinnung auf das 45. Jubiläum ohne eine Bemerkung zu einem immer noch tauglichen Streitthema: dem “Aushandeln” einer Individualabrede (§ 1 Abs. 2 AGBG). Einschlägig war hier für unsere Kommission die Entscheidung des BGH vom 29.3.1974: “Denn sie (die AGB-Klausel) ist nicht das Ergebnis eines freien gegenseitigen Aushandelns des Vertragsinhalts durch die Partner, sondern einseitig von der Veräußererseite . . . festgelegt” (BB 1974, 623). Dabei ging es um eine notariell beurkundete, gleichwohl unwirksame Freizeichnungsklausel. Doch die Wortwahl des BGH war klar: “aushandeln”, nicht einfaches “verhandeln” kennzeichnet eine Individualabrede. Die Würfel liegen seither auf dem Tisch; aber sie rollen nicht mehr.

Dies als kurze Anmerkungen, als Erinnerung an Historisches festgehalten, im Rückspiegel betrachtet und von einem am 1. April 2022 erzählt, der wohl einer der Letzten von denen ist, die vor 45 Jahren bei der Schaffung des AGB-Rechts dabei sein durften.

Prof. Dr. Friedrich
Graf von Westphalen
ist Rechtsanwalt in Lohmar. Er ist seit 1998 Lehrbeauftragter, seit 2004 Honorarprofessor der Universität Bielefeld sowie Mitglied des Herausgeberbeirats von ZIP, EWiR, Schriftleiter der IWRZ sowie Mitglied des Beirats im Ressort Wirtschaftsrecht des BB.

 

Graf von Westphalen, BB 2022, Heft 14, Umschlagteil, I