BVerfG: Schriftform kein Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG

BVerfG: Schriftform kein Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG

Abbildung 1

Die gebotene Gesamtbetrachtung ist beim Fremdvergleich maßgebend.

Mit Deutlichkeit hat das BVerfG in einem teilweise stattgebenden Kammerbeschluss entschieden, dass die Einhaltung der Schriftform kein Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG ist. Die Verselbständigung der Schriftform in der Rechtsprechung verstößt gegen die Rechtsprechung des BVerfG (27.5.2025 – 2 BvR 172/24, www.bundesverfassungsgericht.de). Beim Betriebsausgabenabzug kommt es auf die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtwürdigung an.

Beschwerdeführerin zu 1 ist eine GmbH & Co. KG, deren Tätigkeit der weltweite Handel mit Buchenschnittholz ist. Die alleinige zu 100 % am Vermögen beteiligte Kommanditistin der Beschwerdeführerin zu 1 ist die Beschwerdeführerin zu 2, eine GmbH. Diese ist zugleich alleinige Kommanditistin der X-GmbH & Co. KG (im Folgenden “Schwesterpersonengesellschaft”), die ein Sägewerk betreibt und Holz zu Fertigprodukten verarbeitet. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin zu 2 (GmbH) ist das Halten und Verwalten von Beteiligungen.

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Nichtanerkennung von Anlaufverlusten als Betriebsausgaben der Beschwerdeführerin zu 1, die bei der “Schwesterpersonengesellschaft” entstanden. Dazu gehört ein Teilbetrag von 4 Mio. Euro, den die Beschwerdeführerin zu 1 als Schadensersatzzahlung an die “Schwesterpersonengesellschaft” geleistet und als eigene Betriebsausgabe berücksichtigt hat.

2008 schlossen die Beschwerdeführerin zu 1 und die “Schwesterpersonengesellschaft” eine “Vereinbarung zum Schadensausgleich”. In dieser stimmte die Beschwerdeführerin zu 1 der “Zahlung einer Schadensausgleichsforderung” an die “Schwesterpersonengesellschaft” in Höhe von 4 Mio. Euro zu. In der Feststellungs- und Gewerbesteuererklärung berücksichtigte die Beschwerdeführerin zu 1 für das Streitjahr die Zahlung von 4 Mio. Euro an die “Schwesterpersonengesellschaft” als Betriebsausgabe nach § 4 Abs. 4 EStG.

Zunächst veranlagte das Finanzamt antragsgemäß. Eine durchgeführte Außenprüfung kam zu der Erkenntnis, dass der Vereinbarung zum Schadensausgleich weder ein schriftlicher Vertrag noch andere einschlägige Dokumente zugrunde lagen, sodass sich ein wie unter Fremden üblicher Inhalt und eine übliche Durchführung nicht nachvollziehen lasse. Daher wurde dem Schadensersatz die Anerkenntnis als Betriebsausgabe versagt. Der gegen diese Vorgehensweise erhobene Einspruch war erfolglos. Die Beschwerdeführerin zu 1 konnte keine entsprechenden Nachweise vorlegen, da es diese in schriftlicher Form nicht gab.

Die gegen die Einspruchsentscheidung erhobene Klage wies das Thüringer FG mit Urteil vom 30.3.2022 – 1 K 68/17, ECLI:DE:FGTH:2022:0330.1K68.17.00, ab und ließ die Revision zum BFH nicht zu. Der geleistete Schadensersatz sei nicht gewinnmindernd als Betriebsausgabe zu berücksichtigen, da es an der erforderlichen schriftlichen Vereinbarung fehle, so die Begründung des Thüringer FG. Die gegen die Abweisung der Klage angestrengte Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH war ebenfalls erfolglos. Mit Beschluss vom 8.3.2023 – IV B 35/22, BFH/NV 2025, 1179, wies der BFH die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurück. Nun folgte die Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG mit der die Beschwerdeführer zu 1 und 2 nicht nur die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch das Verwaltungshandeln der Finanzverwaltung und durch die Gerichtsentscheidung des FG rügten, sondern auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG durch den BFH gegeben sahen.

Das BVerfG hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zurück. Seiner Auffassung nach verstößt das Urteil gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ist ein Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und drängt sich daher der Schluss auf, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht, liegt ein Verstoß gegen das Willkürverbot vor. Das BVerfG hält die Entscheidung des Thüringer FG unter keinem denkbaren Aspekt als rechtlich vertretbar. Im Rahmen des anzustellenden Fremdvergleichs hat das FG die Einhaltung der Schriftform zu einem Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG verselbständigt, was der Rechtsprechung des BVerfG widerspricht. Damit weicht es auch von der Rechtsprechung des BFH ab, welcher eine solche Verselbständigung gerade auch in Bezug auf die Schriftform abgelehnt hat (BFH, 24.1.1990 – I R 157/86, BFHE 160, 225, BB 1990, 1466, juris, Rn. 11 m. w. N.), und zwar selbst in solchen Fällen, in denen – anders als vorliegend – die Einhaltung der Schriftform zivilrechtlich vorgeschrieben war. Im Rahmen des Fremdvergleichs führte das FG die gebotene Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände nicht durch, sondern stellte allein auf die im Vorfeld nicht getroffenen Vereinbarungen zwischen den Gesellschaften ab. Dies verstößt gegen die Entscheidung des BVerfG vom 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BB 1995, 2624, und der darauf beruhenden ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. 23.11.2021 – VIII R 17/19, BB 2022, 1125). Es fehlt bei der Fokussierung des FG allein auf die schriftlichen Vereinbarungen die Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen des Fremdvergleichs. Es beruft sich allein auf das Urteil des BFH vom 29.7.2015 – IV R 16/12, BFH/NV 2015, 1572, aus dem sich allerdings die Verpflichtung zur Gesamtwürdigung auf Basis der vom FG festgestellten Tatsachen ergibt und keinesfalls die alleinige Fokussierung auf die schriftliche Vereinbarung. Das BVerfG mit Deutlichkeit: Dem angegriffenen Urteil des FG kann eine solche Gesamtwürdigung nicht ansatzweise entnommen werden.

Damit war das Urteil des Thüringer FG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen, § 95 Abs. 1 und 2 BVerfGG. Der angegriffene Beschluss des BFH über die Nichtzulassungsbeschwerde wird damit gegenstandslos.

Prof. Dr. iur. Michael
Stahlschmidt
lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter Steuerrecht des Betriebs-Berater und Chefredakteur Der SteuerBerater.

Stahlschmidt, BB 2025, Heft 40, Umschlagteil, I