Tariftreuegesetz reloaded?

Tariftreuegesetz reloaded?

Abbildung 1

Das Wort “Tarifautonomie” nennt der Koalitionsvertrag aber nicht einmal.

Der Koalitionsvertrags der CDU/CSU und SPD sieht die Schaffung eines Bundestariftreuegesetzes vor.

Zusammengefasst zielt das Vorhaben darauf ab, dass öffentliche Aufträge des Bundes ab einem bestimmten Volumen nur an “tariftreue” Arbeitgeber vergeben werden können. Dies stellt der Koalitionsvertrag zwar nicht klar, dürfte aber angesichts der Terminologie und seiner Historie außer Frage stehen.

Erklärtes Ziel des geplanten Bundestariftreuegesetzes ist eine höhere Tarifbindung. Allerdings lässt der Koalitionsvertrag jegliche Details dazu vermissen, ob der Arbeitgeber tatsächlich tarifgebunden sein (wie es der Zielsetzung entsprechen würde) oder ob er lediglich die Tarifverträge der jeweiligen Branche zugunsten der eingesetzten Arbeitnehmer für die Auftragsdauer beachten muss (wie es der “Ampel”-Entwurf vorsah).

Festgelegt ist das relevante Auftragsvolumen: Während der letzte “Ampel”-Entwurf den relevanten Schwellenwert auf 25 000 Euro taxierte, sieht der Koalitionsvertrag nun einen Schwellenwert von 50 000 Euro vor. Für Start-ups mit “innovativen Leistungen” soll der Schwellenwert in den ersten vier Jahren ab Gründung erst bei 100 000 Euro greifen. Das mag zunächst nach einer deutlichen Lockerung im Vergleich zum letzten “Ampel”-Entwurf aussehen. Tatsächlich aber hatte die CDU in den Verhandlungen einen Schwellenwert von 250 000 Euro angestrebt.

Bemerkenswert ist, dass der Koalitionsvertrag das Vorhaben “Bundestariftreuegesetz” in unmittelbaren Konnex zum gesetzlichen Mindestlohn setzt. Dabei bekennt sich der Koalitionsvertrag zwar einerseits zu einer “starken und unabhängigen Mindestlohnkommission”; konstatiert aber andererseits, dass ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar sei. Die Mindestlohnkommission werde sich an der “Tarifentwicklung” als auch an “60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten” orientieren.

Beide Vorhaben berühren die Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tarifautonomie garantiert die Freiheit von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Arbeitgeberverbänden, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenverantwortlich und ohne staatliche Einmischung zu regeln. Seit Jahrzehnten ist ein Rückgang des Organisationsgrades zu verzeichnen. Gewerkschaften verlieren Mitglieder, was insbesondere auf gesellschaftliche Entwicklungen, einen Wandel der Beschäftigtenstruktur und eine mangelnde Attraktivität vieler Gewerkschaften zurückzuführen ist.

Tatsächlich dürften die vorgenannten Vorhaben die Tarifautonomie tendenziell eher schwächen. Der Koalitionsvertrag setzt gerade nicht auf Autonomie, sondern auf staatliche Intervention.

Der Ansatz des Gesetzgebers erinnert an die Lockerung der Anforderungen für die Allgemeinverbindlichkeit, die Tariferstreckung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und die Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns. Die Geltung tariflicher Regelungen oder eines sonstigen Mindestschutzes soll ausgeweitet werden und wohl unabhängig von bestehender Tarifbindung gelten. Schon im Zusammenhang mit der Allgemeinverbindlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 allerdings darauf verwiesen, dass diese die Attraktivität der Mitgliedschaft eher schwächt.

Nichts anderes ist hier zu erwarten. Sollte das zu erwartende Bundestariftreuegesetz, wie der letzte “Ampel”-Entwurf keine Tarifbindung, sondern lediglich die Tarifanwendung erfordern, kann das erklärte Ziel einer erhöhten “Tarifbindung” von vornherein nicht erreicht werden. Etwas anderes gilt auf Arbeitgeberseite, wenn eine echte Tarifbindung Voraussetzung für die Auftragsvergabe ist. Auch dann ist das Bundestariftreuegesetz aber untauglich, auf Arbeitnehmerseite einen höheren Organisationsgrad herbeizuführen. In jedem Fall ist rätselhaft, wie das Vorhaben mit dem im Koalitionsvertrag beabsichtigten absoluten Minimum an Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen umsetzbar sein soll.

Auch ein deutlich erhöhter Mindestlohn erweist der Zielsetzung einer höheren Tarifbindung einen “Bärendienst”. Warum sollten Arbeitnehmer sich einer Gewerkschaft anschließen und dafür Mitgliedsbeiträge entrichten, wenn sie auch sonst von erhöhten Löhnen profitieren? Die Festlegung von Arbeitsbedingungen, und damit gerade der Vergütung, ist ureigene Aufgabe der Tarifpartner. Ihnen obliegt die – autonome – Festlegung “richtiger” Löhne. Erst recht bedenklich ist die Nennung eines “Zielwerts” für das Jahr 2026. Obwohl sich der Koalitionsvertrag zur Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission bekennt, stellt er diese – abermals durch staatliche Intervention – zugleich in Frage. Der Mindestlohn sollte der Entwicklung der tariflich vereinbarten Löhne folgen und gerade nicht selbst als Lohntreiber fungieren. Zudem erscheint die Orientierung an dem 60 %-Wert aus der Mindestlohnrichtlinie äußerst fragwürdig. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat die Richtlinie bekanntlich jüngst als nichtig eingestuft.

Will man die Tarifautonomie stärken, muss die Mitgliedschaft in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gefördert werden. Dies ist Aufgabe der Tarifpartner selbst. Der Tarifautonomie ist immanent, dass der Staat die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den Tarifvertragsparteien überlässt, statt zu intervenieren.

Das einzige Vorhaben des Koalitionsvertrages mit Potential zur Erhöhung der Tarifbindung dürfte die geplante Schaffung steuerlicher Anreize für Gewerkschaftsmitgliedschaften sein. Details enthält der Koalitionsvertrag nicht. Aber auch insoweit wird auf staatliche Intervention, hier in Form der Anreizschaffung, gesetzt, statt auf die Eigenverantwortung der Verbände, ihre eigene Attraktivität zu steigern.

Fazit: Der Koalitionsvertrag setzt auf staatliche Intervention und nicht auf die, nicht einmal erwähnte, Tarifautonomie. Er nimmt die Eigenverantwortung der Tarifpartner und ihrer Mitglieder nicht ernst.


Thomas
Ubber
, RA/FAArbR, ist Partner bei ULL Ubber Labour & Law, Frankfurt am Main, und verfügt über langjährige Erfahrungen in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Er gilt als ausgewiesener Spezialist im Tarif- und Arbeitskampfrecht.

Ubber, BB 2025, Heft 21, Umschlagteil, I