Europa- und verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Übergewinnsteuer
Energiekrisenbeitrag ist verfassungswidrig
In vielen EU-Staaten gab es bereits eine Übergewinnsteuer in verschiedener Ausgestaltung. Aufgrund der Energiekrise führte auch Deutschland eine sog. Übergewinnsteuer ein. Die einen sehen sie als verfassungswidrig, die anderen als sozial geboten an. Die Basis des mit dem Jahressteuergesetz 2022 eingeführten deutschen EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes beruht auf der EU-Verordnung (2022/1854 vom 6.10.2022), die als Notfallmaßnahme vom Rat der Europäischen Union in Reaktion auf die hohen Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erlassen wurde. Unerwartet hohe Gewinne der Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebetriebe sollten abgeschöpft werden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Endkunden zu minimieren. Relativ schnell nach Einführung der Steuer war klar, dass die Regelungen die Finanzgerichtsbarkeit beschäftigen werden.
Nun hat das FG Köln ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des EU-Energiekrisenbeitrags geäußert. Der Sachverhalt ist denkbar einfach. Die Klägerin forderte vom BZSt die Rückerstattung des gezahlten EU-Energiekrisenbeitrags. Das BZSt lehnte den Antrag ab und verwies darauf, dass das europäische Recht bindende Grundlage für das Gesetz sei. Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Der 2. Senat des FG Köln setzt sich zunächst mit der europarechtlichen Rechtsgrundlage auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass bereits zweifelhaft ist, ob eine hinreichende Rechtsgrundlage zur Erhebung eines Energiekrisenbeitrags in der EU-Verordnung zu sehen ist.
Das FG Köln hat europarechtliche Bedenken, ob Art. 122 Abs. 1 AEUV, der als EU-Kompetenznorm dient, eine hinreichende Rechtsgrundlage für die EU-Verordnung ist. Nach dem Wortlaut der Norm, “wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen kann, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten, bestehen Zweifel daran, dass diese Norm eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Verordnung zur Einführung eines Energiekrisenbeitrags darstellt.” Im Hinblick auf andere Kompetenzregelungen bzw. zur Erlangung von Haushalts- bzw. Finanzierungsmitteln sieht es die Auslegung des Art. 122 Abs. 1 AEUV als problematisch an. Art. 122 Abs. 2 AEUV ermächtigt, auf Vorschlag der Kommission, den Rat zur Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten, die aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind, diesen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren. Das FG Köln weist auf weitere Kompetenzgrundlagen des AEUV hin, die aber nicht als Grundlage herangezogen wurden. Art. 113 AEUV gestattet dem Rat aufgrund eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen notwendig ist, zu erlassen. Unbeschadet des Art. 114 AEUV kann der Rat in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken, schaffen. Eine Maßnahme der Energiepolitik, die überwiegend steuerlicher Art ist, muss mit Einstimmigkeit im Rat beschlossen werden, Art. 194 Abs. 3 AEUV. Da die aufgeworfene Rechtsfrage, die dem EuGH vom belgischen Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurde, nicht eindeutig nur in der Weise beantwortet werden kann, namentlich, dass die EU-Verordnung als Rechtsgrundlage trägt, überwiegen für das FG Köln die europarechtlichen Zweifel.
Neben den europarechtlichen Zweifeln äußert das FG Köln auch verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Finanzverfassung des Grundgesetzes (GG). Diese ist eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung, die auf Formenklarheit und Formenbindung ausgelegt ist. Eine überragende Bedeutung ist in der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern zu sehen. Der Finanzverfassung kommt über der Ordnungsfunktion auch eine Schutz- und Begrenzungsfunktion zu, die auch im Verhältnis zum Bürger wirkt. Der nationale Gesetzgeber stützt seine Kompetenz auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG und sieht den Energiekrisenbeitrag als Abgabe “im Rahmen der Europäischen Union an” mit der Folge, dass die von der Europäischen Gemeinschaft neu eingeführten Abgaben auch innerstaatlich zu erheben sind. Da die unionsrechtliche Verordnung mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, schlagen diese Zweifel auch auf die Frage durch, ob das nationale Gesetz, das zur Umsetzung einer europäischen Verordnung erlassen wurde, vom Kompetenztitel des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG getragen wird. Wäre die Verordnung (EU) 2022/1854 nicht mit dem Europarecht vereinbar, könnte verfassungsrechtlich ein hierauf gestütztes nationales Gesetz nicht als Abgabe “im Rahmen der europäischen Gemeinschaften” qualifiziert werden. Insofern überwiegen auch verfassungsrechtlich die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Energiekrisenbeitrages.
Wegen der europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken hat das FG Köln dem Antrag auf AdV stattgegeben. Das BZSt hat dagegen Beschwerde erhoben, die unter dem Aktenzeichen II B 5/25 beim BFH geführt wird.
Prof. Dr. iur. Michael
Stahlschmidt
lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der SteuerBerater.
Stahlschmidt, BB 2025, Heft 13, Umschlagteil, I