Less is more sollte das Motto der neuen Regierung sein – besonders bei Entgelttransparenz, Mitbestimmung und Arbeitszeiterfassung.
Deutschland hat gewählt! Bereits vor der Wahl wurde den auf Regierung bzw. Beteiligung an einer solchen Hoffenden von allen Seiten mitgegeben, was nach der Wahl sofort und zuallererst anders werden müsse, um Deutschland vor dem Kollaps zu bewahren. Unbestritten – die Herausforderungen einer neuen Regierung sind immens, die Situation innenpolitisch schwierig, außenpolitisch noch um ein Vielfaches schwieriger. Als Realist weiß man – Arbeitsrecht wird auf der Agenda der neuen Regierung nicht extrem weit oben stehen, die Schwerpunkte für eine Konsenssuche in der Regierungsbildung werden woanders liegen. Trotzdem ist es wichtig, dass in den Koalitionsgesprächen auch die Wunschlisten der Arbeitsrechtler Gehör finden – hier die Hitliste der notwendigen To Do’s aus der Perspektive der Arbeitsrechtler in den Unternehmen, die tagtäglich den Balance-Akt zwischen Gesetzeskonformität und Praktikabilität schaffen müssen:
To Do Nr. 1 – Mindestlohnkommission respektieren: Das Thema Mindestlohn spielte “mal wieder” im Wahlkampf eine erhebliche Rolle. Das schmerzt die Juristen-Seele erheblich. Dabei geht es nicht darum, ob oder ob nicht eine bestimmte Höhe “gerecht” oder “angemessen” wäre. Der Jurist denkt in Strukturen: Im Mindestlohngesetz hat der Gesetzgeber der paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bestehenden Mindestlohnkommission die Aufgabe zugewiesen, “über die Anpassung des Mindestlohns zu befinden” (§ 4 MiLoG). Damit wurde die Höhe des Mindestlohns in die bewährten Hände der Tarifparteien gelegt – und gerade kein politischer Mindestlohn festgelegt. Für den Glauben in den Rechtsstaat ist es unabdingbar, dass sich staatliche Institutionen und Regierungen an die vom Gesetzgeber geschaffenen Strukturen halten.
To Do Nr. 2 – Europäische Entgelttransparenzrichtlinie zügig in deutsches Recht umsetzen: Zwar läuft die Umsetzungsfrist formal erst im Juni 2027 ab. Da aber Unternehmen ab 150 Mitarbeiter zeitgleich bereits die durch die Richtlinie erforderlichen Berichte für das vorangegangene Kalenderjahr (d. h. 2026) abgeben müssen, schlägt die Umsetzungsuhr bereits fünf vor zwölf. Die Unternehmen brauchen nicht nur schnellstmöglich Klarheit u. a. über die genaue Ausgestaltung der Berichtspflicht, sondern noch dringender Rechtssicherheit zum Begriff der Gleichwertigkeit von Arbeit und der Definition von Entgelt. Der übergeordnete Wunsch der Praktiker für die Umsetzung: Keep it simple! Und zwei konkrete Wünsche: Bitte den in der Richtlinie weit angelegten Entgeltbegriff auf klar definierte Bestandteile konkretisieren – die Unzulänglichkeiten beim Gender Pay werden nicht dadurch geheilt, dass die letzte untergeordnete oder mittelbar gewährte Sachleistung in die Bewertung einbezogen wird. Im Sinne der Tarifautonomie müssen außerdem Tarifverträge im Grundsatz als diskriminierungsfreie Entgeltsysteme anerkannt werden. Wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter nach Tarifvertrag vergütet, muss er sich darauf verlassen können, dass er damit dem Equal Pay Grundsatz gerecht wird. Die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien gebietet es, dass diese nur auf Einhaltung der äußersten rechtlichen Grenzen überprüft werden. Ein klares Bekenntnis hierzu im Umsetzungsgesetz kann Sicherheit für Unternehmen schaffen und dadurch einen relevanten Beitrag leisten zum erklärten Ziel der nächsten Regierungsparteien, die Tarifbindung zu stärken.
To Do Nr. 3 – die Betriebsverfassung modernisieren und Mitbestimmung beschleunigen: Natürlich steht die Online-Betriebsratswahl (mal wieder) ganz oben auf der Wunschliste in der Hoffnung, dass sie nicht am Altar irgendwelcher Kompromisse geopfert wird – auch die Betriebsräte wünschen sich hier Spielraum, um ihre Legitimität zu erhöhen (durch Mobile Office und Co nimmt die Wahlbeteiligung kontinuierlich ab) und um auch jüngere Beschäftigte von BR-Arbeit zu begeistern. Genauso wichtig ist die Entbürokratisierung und Beschleunigung von Mitbestimmungsverfahren. Als Beispiel sei die “heilige Kuh” § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, die Mitbestimmung bei der Einführung von IT-Systemen, genannt. Die weite Auslegung des Bundesarbeitsgerichts führt bekanntlich dazu, dass jedes IT-System/Tool der Mitbestimmung unterliegt, da an irgendeiner Stelle immer irgendwelche Log-in-Daten oder ähnliches aufgezeichnet werden. Hier gilt es, sich auf den eigentlichen Gesetzeszweck dieses Mitbestimmungstatbestands zu besinnen: Es geht darum, die Mitarbeiter nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats der Kontrolle der Leistung und des Verhaltens auszusetzen. Genau das sollte durch eine Änderung der Vorschrift klargestellt werden mit einer gesetzlichen Fiktion, dass der Tatbestand gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht vorliegt, wenn der Arbeitgeber die Leistungs- und Verhaltenskontrolle ausschließt bzw. diese auf Fälle der Aufdeckung von Missbrauch begrenzt (in Anlehnung an § 26 BDSG). Damit würde sich eine erhebliche Arbeitsflut bei HR und Betriebsrat entschlacken, die beide Seiten von wichtigeren Themen abhält, ohne Sinn und Zweck der Mitbestimmung einzuschränken.
To Do Nr. 4 – Thema Arbeitszeiterfassung regeln: Diese offene Flanke sollte zügig gelöst werden – durch einfache, maßvolle Vorgaben zur Dokumentation und indem die Chance genutzt wird, Spielräume im Hinblick auf die tägliche/wöchentliche Arbeitszeit und Ruhenszeit zu nutzen. Die EU-Vorgaben bieten einen ausreichend guten Schutz für die Arbeitnehmer.
FAZIT – Less is more: Das deutsche Arbeitsrecht ist kompliziert, der Schutz der Arbeitnehmer ausgeprägt und die betriebliche Mitbestimmung umfassend. In der neuen Legislaturperiode gilt es, sich dem Sog von “Mehr Regulierung macht alles besser” zu entziehen, Mut zu haben, Dinge auf den Prüfstand zu stellen und vor allem für eine einfache Umsetzung zu sorgen – inkl. Realisierung des One in – One out Prinzips der Regulierung – oder besser noch One in – Two out.
Dr. Nelly
Gerig
, Syndikus-RAin, Mediatorin, seit über 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig; Bereichsleiterin Labour Relations, Guidelines and Policies bei der Otto Group; zugleich Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen BVAU e. V.
Gerig, BB 2025, Heft 11, Umschlagteil, I