Berufsrecht vor dem EuGH

Berufsrecht vor dem EuGH

Abbildung 1

Berufsrechtliche Neuregelungen erforderlich

Für die Auslegung des EU-Rechts ist bekanntermaßen der EuGH zuständig. Derzeit ist er mit drei Verfahren befasst, die massiven Einfluss auf das Berufsrecht der Steuerberater (Rechtsanwälte) haben können. Zum einen geht es um die Auswirkungen des Berufsgeheimnisses und zum anderen um die Kapitalbindung von Kanzleien.

Am 29.7.2024, in der Rs. C-623/22, einem belgischen Vorabentscheidungsersuchen, ging es um die Frage, ob sich nicht rechtsanwaltliche Berufe auf eine nationale Verschwiegenheitspflicht berufen können. Wenn dem so wäre, läge ein Verstoß gegen Art. 7 der Charta vor. Wie der EuGH bereits in der Rs. Orde van Vlaamse Balies feststellte, ist Art. 8ab Abs. 5 der Richtlinie 2011/16 ungültig, soweit die Verpflichtung von Rechtsanwälten, für die eine Befreiung gilt, zur Unterrichtung anderer Intermediäre dazu führte, dass die Identität des Rechtsanwalt-Intermediärs und der Umstand, dass er von dem Mandanten konsultiert wurde, offengelegt werden mussten. Der EuGH sah einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwälten. Im vorliegenden Fall stellt er zunächst fest, dass die Vorlagefrage eine andere sei. Es ging in diesem Verfahren nicht um einen “Rechtsanwalt als Intermediär”, sondern um einen “Intermediär”, der kein Rechtsanwalt ist, für den aber ein nationales strafbewehrtes Berufsgeheimnis existiert. Der EuGH fasst die Frage so zusammen, dass es konkret darum gehe, ob eine Befreiung nur Rechtsanwälten oder aber auch Angehörigen anderer Kategorien von Berufen gewährt werden kann, die einer Form eines Berufsgeheimnisses nach nationalem Recht unterliegen. Das Ergebnis des EuGH ist aus Sicht der Steuerberater ernüchternd. Er führt aus, dass sich im Wege der grammatikalischen, vergleichenden, kontextuellen und entstehungsgeschichtlichen Auslegung von Art. 8ab der Richtlinie 2011/16 nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen ließe, welche Bedeutung dem Begriff “gesetzliche Verschwiegenheitspflicht” zukomme. Der Gerichtshof greift dann auf den Sinn und Zweck der Richtlinie zurück und folgert, dass es den Mitgliedstaaten nicht überlassen werden könne, die Berufsgruppen zu bestimmen, für die eine Verschwiegenheitspflicht gelten soll, weil die Gefahr bestünde, dass die Richtlinie leerliefe. Insoweit gilt die Verschwiegenheitspflicht für Rechtsanwälte bei der Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen, §§ 138d ff. AO, nicht aber für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Notare.

Auch in der Rechtssache C-423/23 geht es um das Berufsgeheimnis. Hier liegen die Schlussanträge vor, das Urteil des EuGH noch nicht. Im Kern geht es um die Klage der luxemburgischen Kammer der Rechtsanwälte gegen ein Auskunftsersuchen der Steuerverwaltung. Die Generalanwältin Kokott führt in den Schlussanträgen aus, dass der besondere Schutz des Anwaltsgeheimnisses im Zusammenhang mit der rechtsberatenden Tätigkeit im Rahmen eines konkreten Mandats besteht. Sie will diesen Schutz nicht nur auf Rechtsanwälte anwenden, sondern auch auf andere Berufsgruppen wie Steuerberater. Konkret wird ausgeführt, dass sich auch Steuerberater und andere Berufsgruppen auf den Schutz des “Anwaltsgeheimnisses” berufen können, wenn sie nach dem jeweiligen nationalen Recht als unabhängige Organe der Rechtspflege den Rechtsanwälten gleichgestellt und somit zur Rechtsberatung und gerichtlichen Vertretung von Mandanten befugt sind.

Schließlich sei der Blick noch auf die Rechtssache v. 24.11.2022 – C-295/22 P, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG gegen Rechtsanwaltskammer München, Deutsches Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, bei der es um die Frage der Fremdbeteiligung an einer Rechtsanwaltsgesellschaft geht. Die Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft in Deutschland, an der Herr Halmer alleiniger Gesellschafter war. Er übertrug 51 von 100 Geschäftsanteilen auf die SIVE Beratung und Beteiligung GmbH, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts, die weder in Deutschland noch in Österreich zur Rechtsberatung zugelassen ist. In der Satzung der UG wurde bestimmt, dass nur Rechtsanwälte zur Geschäftsführung befugt sind. Damit sollte die Unabhängigkeit der Rechtsberatung gewährleistet werden. Die RAK München teilte der UG mit, dass die Übertragung der Anteile an die SIVE nach BRAO unzulässig sei. Für den Fall, dass die Übertragung stattfinde, werde die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen. Auch hier liegen die Schlussanträge vor. In diesen wird den deutschen berufsrechtlichen Regelungen die Kohärenz abgesprochen. Eine Abgrenzung nach Berufsgruppen sei ungeeignet, darüber zu entscheiden, ob eine Beteiligung an einer Berufsausübungsgesellschaft zulässig sei oder nicht. Allerdings wird anerkannt, dass es Vorschriften geben darf, die verhindern, dass berufsfremde Investoren die Entscheidungen der Rechtsanwaltsgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinflussen können, wenn die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und der Schutz der Interessen ihrer Mandanten auf dem Spiel stehen. Damit ist dem Automatismus, dass ein Fremdbesitzverbot unzulässig sei, nicht der Weg bereitet.

Spannend wird sein, ob der EuGH die Grundsätze des Schutzes des Anwaltsgeheimnisses auf die anderen Berufsgruppen wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Notare übertragen wird. Während es in dieser Frage nicht viele Möglichkeiten gibt, scheint die Herstellung der Kohärenz der berufsrechtlichen Regelungen hinsichtlich des Fremdbesitzverbotes lösbar.

Prof. Dr. iur. Michael
Stahlschmidt
lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter Steuerrecht des Betriebs-Berater und Chefredakteur Der Steuerberater.

Stahlschmidt, BB 2024, Heft 35, Umschlagteil, I