Berichterstattungspflichten der Unternehmen – Bürokratieabbau durch die EU?

Berichterstattungspflichten der Unternehmen – Bürokratieabbau durch die EU?

Abbildung 1

Mit einer deutlichen Erhöhung der Schwellenwerte der Größenklassen könnten auf einen Schlag viele Tausend Unternehmen von den neuen Berichterstattungspflichten verschont werden.

Die Worte der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen am 15.3.2023 gegenüber den Vertretern des EU-Parlaments haben viele Hoffnungen geweckt:

“Wir wissen, dass die Qualität der öffentlichen Verwaltung und des rechtlichen Rahmens der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit ist. Deshalb stellen wir gemeinsam auch durch umfassende Folgenabschätzungen sicher, dass EU-Gesetze EU-Unternehmen nicht belasten, sondern sie unterstützen. Doch wie wir alle wissen, ist es oft keine individuelle Nachweispflicht, oft kein individueller Zustand, der ihnen das Leben schwer macht. Es ist die riesige Summe all dieser Anforderungen. Wir werden deshalb über die Ressortgrenzen hinaus sehen, was Europa wirklich wettbewerbsfähiger macht und worauf wir verzichten können. Bis zum Herbst werden wir konkrete Vorschläge unterbreiten, um die Meldepflichten zu vereinfachen und tatsächlich um 25 % zu reduzieren. Es wird nicht einfach, aber wir müssen uns anstrengen.” (übersetzt, Speech by President von der Leyen at the European Parliament Plenary on the preparation of the European Council meeting of 23-24 March 2023, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_
23_
1672, Abruf: 23.6.2023).

In völligem Widerspruch dazu ist die Liste an aktuellen europäischen Projekten mit neuen Berichterstattungspflichten für Unternehmen sehr lang. Man kann sich kaum an noch herausforderndere Zeiten bezüglich der Umsetzung oder Vorbereitung neuer Berichterstattungspflichten erinnern. Aktuell stehen die Beschäftigten in Finanzabteilungen sowie deren Berater und Prüfer daher unter einem erheblichen Umsetzungsdruck, der durch den Fachkräftemangel auch gerade in diesem Bereich noch verstärkt wird. Allerdings bringt auch die Art und Weise, wie die Projekte von den Regulatoren administriert werden, die Menschen zur Verzweiflung.

Im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt es zwar mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) eine im Dezember 2022 verabschiedete Richtlinie, die bis Mitte 2024 umzusetzen ist – die Verpflichtung soll aber rückwirkend bereits ab dem 1.1.2024 erfolgen, wenn auch zunächst nur für zahlenmäßig wenige Unternehmen. Die Bundesregierung plant offenbar, die Zeit zur Umsetzung im HGB auch komplett auszunutzen, liegt doch noch kein Referentenentwurf vor. Mit der CSRD eng verbunden sind verpflichtend zu beachtende europäische Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (ESRS), die als Delegierte Verordnungen unmittelbar für alle in Europa betroffenen Unternehmen gelten sollen. Die Fertigstellung verzögert sich aber auch hier, lief doch noch bis zum 7.7.2023 eine weitere Konsultation des ersten Sets von zwölf Standards – im Jahrestakt sollen dann Nachbesserungen, KMU- und Branchenspezifika ergänzt werden. Bei der Konsultation konnte beobachtet werden, was die EU offenbar unter Bürokratieerleichterung versteht:

Gegenüber der Vorversion wurde einerseits die Anzahl verpflichtend anzugebender Datenpunkte deutlich reduziert – allerdings sind sie nicht gestrichen worden, sondern lediglich künftig unter Wesentlichkeitsvorbehalt gestellt. Betroffene sehen darin nur wenig Vorteil, da nun die aufwändige Wesentlichkeitsbestimmung durchzuführen und zu dokumentieren ist. Noch erheblich schwerer wiegt, dass viele der nun nicht mehr pflichtigen Angaben aber nach der Offenlegungs-VO (EU) 2019/2088 (ABlEU vom 9.12.2019, L 317, 1) und deren Delegierten Verordnungen für die Pflichtberichterstattung der Finanzinstitute weiter benötigt werden. Wenn ein börsennotiertes Unternehmen somit weiterhin investierbar bleiben möchte, muss es die Angaben aber doch komplett machen. Andererseits wurden Übergangserleichterungen für die ersten ein bis zwei Jahre vorgesehen, die auch nur zu einer langsamer ansteigenden Bürokratielast führen.

Kritisch ist für die Praxis auch die EU-Taxonomie-Verordnung, die aktuell zu weiteren Umweltthemen vorliegt und bezüglich der Sozialtaxonomie als Entwurf schlummert.

Der gerade in das HGB umgesetzte Ertragsteuerinformationsbericht führt zu einer Veröffentlichungspflicht der bislang nur den Steuerbehörden gegenüber nötigen Angaben, deren Informationsgehalt sehr begrenzt ist und auch von staatlicher Seite problemlos hätte erbracht werden können (vgl. dazu auch Freiberg, BB 47/2022, Die Erste Seite). Schließlich sei an den Moloch der Globalen Mindestbesteuerung mit seinen enormen neuen Abbildungspflichten bis herunter zu Betriebsstätten unter Verwendung der aufwändig aufzubereitenden Teile der Konzernbilanzierung erinnert, die aktuell in deutsches Recht umzusetzen ist.

Für eine echte Bürokratieerleichterung sollten die Projekte überdacht oder abgemildert werden (das EU-Parlament hat dagegen die Ausweitung der Zielgruppe für die Sorgfaltspflichtenrichtlinie beschlossen). Da bei der politischen Gemengelage damit kaum zu rechnen ist, erscheint als zentraler Ansatzpunkt eine deutliche Erhöhung der Schwellenwerte der Größenklassen für die Entlastung der Wirtschaft denkbar – so könnten auf einen Schlag viele Tausend Unternehmen von den neuen Berichterstattungspflichten verschont werden. Überdies ist die Erhöhung der monetären Werte bei den Größenklassen durch die Inflation eigentlich ohnehin seit einigen Jahren überfällig.

Prof. Dr. Stefan
Müller
ist Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfungswesen, der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg und u. a. Leiter des Arbeitskreises Nachhaltigkeitsberichterstattung des Bundesverbands der Bilanzbuchhalter und Controller (BVBC).

Müller, BB 2023, Heft 31, Umschlagteil, I