Das beA – Schmerzensthema der Anwaltschaft

Das beA – Schmerzensthema der Anwaltschaft

Abbildung 1

Elektronischer Rechtsverkehr und beA – Beleg für ein hohes Maß an Hilflosigkeit bei der Digitalisierung der Rechtspflege.

Aktive Nutzungspflicht des beA! So liest man es in an manchen Stellen, auch bei der BRAK. So ganz stimmt es natürlich nicht, wie so vieles beim beA nicht stimmt. Aber was sich ab dem 1.1.2022 ändert, ist die Pflicht zur elektronischen Kommunikation mit Gerichten: Denn dann tritt § 130d ZPO in Kraft, nach dem Anwälte verpflichtet sind, Schriftsätze und Anlagen als elektronische Dokumente einzureichen. Das ist aber keine “aktive Nutzungspflicht des beA”. Denn § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet den Postfachinhaber auch ab dem 1.1.2022 unverändert nur, Zustellungen in seinem beA zur Kenntnis zu nehmen. Das nennt man “passive Nutzungspflicht”, und wenn Anwälte dieser Pflicht nicht nachkommen, wird es teuer, einige Rechtsanwaltskammern verstehen da keinen Spaß: Im März 2021 wurde eine Nürnberger Anwältin zu einem Bußgeld von 3.000 Euro verurteilt, weil sie bzw. ihr beA “nicht empfangsbereit” waren.

Wenn es hingegen um das Versenden von elektronischen Schriftstücken geht, dann schreibt § 130a Abs. 3 ZPO lediglich vor, ein elektronisches Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) zu versehen oder es einfach zu signieren und auf einem “sicheren Übermittlungsweg” einzureichen. Das kann auch ein DE-Mail-Postfach sein, § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO.

Wenn Sie spätestens hier den Kopf schütteln, dann völlig zu Recht. Der elektronische Rechtsverkehr und das beA sind Beleg für ein hohes Maß an Hilflosigkeit bei der Digitalisierung der Rechtspflege. Letztlich soll es ja nur darum gehen, elektronische Kommunikation zu ermöglichen, also das, was heute in den meisten anderen Lebensbereichen Alltag ist. Versuchen Sie mal, einen Weg durch das Normengestrüpp und die dazu bereits ergangene Rechtsprechung zu finden – es ist ein völliger Verhau (instruktiv dazu Siegmund, NJW 2021, 3617).

Das beA ist bekanntermaßen keine Erfolgsgeschichte, sondern ein Schmerzensthema der Anwaltschaft. Betrachtet man sich den Werdegang dieses Postfachs, fühlt man sich unweigerlich an den neuen Berliner Flughafen erinnert: Aus politischen Gründen am falschen Standort, dilettantisches Projektmanagement unter Verantwortung von Politikern, wurde lange Jahre nicht fertig, kostete ein Heidengeld und wird uns auch in Zukunft noch ein Heidengeld kosten. Als der BER im Oktober 2021 endlich eröffnet wurde (nach einem geplanten Start im Jahr 2012, der kurz vorher abgesagt worden war), stellte sich heraus, dass er ein nicht funktionierender Flughafen aus der Vergangenheit für die Vergangenheit ist, der auch bei der zweiten Bewährung unter Volllast zusammenbrach.

Ist das ein fairer Vergleich zwischen BER vs. beA? Nun ja. . . im Jahr 2013 war die BRAK beauftragt worden, für jeden Anwalt ein elektronisches Postfach einzurichten. Fertig sein sollte es am 1.1.2016. Einen Monat vorher wurde der Start abgesagt und bis auf Weiteres verschoben. Grund dafür, so die BRAK in einer Presseerklärung, war “die bisher nicht ausreichende Qualität des beA in Bezug auf die Nutzerfreundlichkeit. Sie entspricht noch nicht den hohen Erwartungen, die sich die Kammer selbst gestellt hat.” Dann sollte das beA im September 2016 in Betrieb genommen werden, aber das verhinderte eine einstweilige Anordnung; es wurde November 2016. Im Dezember 2017 stellte sich heraus, dass das ganze ausgetüftelte Sicherheitssystem des beA nichts taugte – von Sicherheit konnte keine Rede sein. Großes Drama, die BRAK stand da wie ein “begossener Pudel”, in der ehrwürdigen NJW war vom “beA-Desaster” die Rede. Also monatelange “Wartungsarbeiten”, zum 1.1.2019 wurde es offiziell freigegeben, seitdem galt die passive Nutzungspflicht. Das beA hat das Design und die Funktionalität der 90er Jahre – wäre es rechtzeitig fertiggeworden, dann wäre es vielleicht nicht so aufgefallen. Anwaltsgesellschaften gibt es im beA nicht, das wird erst zum 1.8.2022 korrigiert.

Was das Postfach bisher gekostet hat, weiß der advocatus normalis nicht. Gerüchten zufolge sollen es ca. 40 Mio. Euro seit 2014 sein. Jährlich fallen weitere Kosten von knapp 11 Mio. Euro an. Ist es dafür sicher, mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung? Also . . . nicht direkt. Im Jahr 2015 hieß es in der besagten Presseerklärung der BRAK noch, “die Übermittlung [werde] mit Hilfe der neuesten Authentifizierungs- und Verschlüsselungstechniken Ende-zu-Ende verschlüsselt”. Aber eine solche Verschlüsselung bietet das Postfach gerade nicht, es war und ist auch gesetzlich so nicht vorgesehen (ob die BRAK das wusste?), und als empörte Anwälte dagegen klagten, wurden sie vom Anwaltssenat des BGH kühl beschieden, das beA sei “sicher im Rechtssinne”.

Nun warten wir mit Spannung, was ab dem 1.1.2022 passiert. Alle senden elektronische Dokumente an die Gerichte. Oder versuchen es wenigstens, denn ob und wie das beA unter Volllast funktioniert, weiß niemand. Schon heute ist es nicht immer stabil. Immerhin muss man keine Abschriften mehr beifügen, § 133 Abs. 1 S. 2 ZPO. In den Gerichten werden die elektronischen Dokumente ausgedruckt, vervielfältigt und in Akten geheftet, denn erst 2026 muss die Justiz komplett auf die E-Akte umgestellt sein. Aber: Eine Klage kann bisher nicht per beA zugestellt werden, wenn sich noch kein Anwalt bestellt hat. Und dort, wo Parteien ganz ohne Anwälte streiten, gibt es ohnehin noch keinen elektronischen Rechtsverkehr. Später vielleicht mal, heute nicht. Warum keinen großen Wurf, kein stimmiges System? Die Antwort lautet: Digitalisierung können wir nicht.

Markus Hartung, Rechtsanwalt und Mediator, Gründer und Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School. Zu seinen anwaltlichen Schwerpunkten gehören das anwaltliche Berufsrecht sowie Konfliktmanagement. Er ist Mitglied des Berufsrechtsausschusses und des Ausschusses Anwaltliche Berufsethik des Deutschen Anwaltvereins. Mit seinem 2009 gegründeten Beratungsunternehmen The Law Firm Companion berät er Sozietäten in Strategie- und Managementfragen und zur Digitalisierung.

Hartung, BB 2021, Heft 51-52, Umschlagteil, I