Im Blickpunkt

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Abbildung 16

Das BAG entschied zu einer nachträglichen Klagezulassung i. R. von Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen, dass wenn eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft erlangt, die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen ist (PM Nr. 16/2025 zu BAG, Urteil vom 3.4.2025 – 2 AZR 156/24). Der beklage Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zu der Klägerin mit am 14.5.2022 zugegangenem Schreiben ordentlich zum 30.6.2022. Am 29.5.2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.6.2022 erhielt. Am 13.6.2022 hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21.6.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.6.2022 festgestellte Schwangerschaft in der “ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche” bestätigte – voraussichtlicher Geburtstermin war der 2.2.2023. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.4.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage). Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei nachträglich zuzulassen. Beide Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des BAG keinen Erfolg. Die streitbefangene Kündigung ist danach wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil werde nicht nach § 7 Halbs. 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG nicht gewahrt. Der Fristbeginn richtete sich aber mangels Kenntnis der Beklagten von der Schwangerschaft nicht nach § 4 S. 4 KSchG. Die verspätet erhobene Klage war gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin habe aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17.6.2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung schwanger war. In der vom Senat vorgenommenen Auslegung genüge das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den Vorgaben der Richtlinie 92/85/EWG, wie sie der EuGH mit Urteil vom 27.6.2024 – C-284/23 – herausgearbeitet hat.

Prof. Dr. Christian Pelke, Ressortleiter Arbeitsrecht

BB 2025, 947