ESG-Berichterstattung: übermäßige Belastung oder adäquates Mittel zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen?
Environmental-, Social and Governance-(ESG-)Berichtspflichten führen zwar zu positiven, aber leider nur moderaten Veränderungen in der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen.
Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, insbesondere durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD, ABlEU vom 16.12.2022, L 322, 15) und die EU-Taxonomie-Verordnung (ABlEU vom 22.6.2020, L 198, 13), wird häufig als “Bürokratiemonster” kritisiert und aktuell politisch stark diskutiert. Auch die noch ausstehende Umsetzung der CSRD in nationales Recht sorgt für Kontroversen. Derzeit wird in Brüssel eine Omnibus Directive zur Reduktion von zu umfangreichen Berichtspflichten, auch auf eine deutsche Initiative hin, diskutiert. Doch ist diese Kritik berechtigt? Sind die CSRD und ähnliche Regularien tatsächlich eine übermäßige Belastung für Unternehmen?
Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich diese Frage klar beantworten: Ob eine Maßnahme für ein Unternehmen netto positiv oder negativ ist, hängt vom individuellen Kosten-Nutzen-Kalkül ab. Unternehmen vergleichen den Erstellungsaufwand der Berichte – einschließlich der Offenlegung sensibler Daten – mit den potenziellen Vorteilen, die die Berichterstattung für sie hat, etwa in Form von Reputationsgewinnen oder Vorteilen bei der Kapitalbeschaffung. Ein klarer Indikator für das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Abwägung ist der Umfang freiwilliger Berichterstattung vor einer Regulierung: Unternehmen, die freiwillig (ausführlich) berichten, sehen einen Nutzen, der die Kosten übersteigt. Umgekehrt deuten eingeschränkte oder gar fehlende Berichterstattung darauf, dass Unternehmen höhere Kosten als Nutzen erwarten.
Was sagt also die empirische Forschung zu dem Grad der freiwilligen Berichterstattung? Kapitalmarktorientierte Unternehmen haben oft schon freiwillig vor der Einführung der Non-Financial Reporting Directive (NFRD, ABlEU vom 9.12.2019, L 317, 1), dem Vorläufer der CSRD, berichtet, während dies bei nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen die absolute Ausnahme war (vgl. Nienaber/Nienhaus/Stanka, DK 2023, 487–494). Doch auch bei kapitalmarktorientierten Unternehmen blieb der Umfang freiwilliger Berichte oft weit hinter den Anforderungen eines vollständigen CSRD-konformen Berichts zurück. Zudem zeigen Studien, dass die Kapitalmärkte auf die Einführung von Berichtspflichten negativ reagiert haben (statt aller Grewal/Riedl/Serafeim, Management Science 2018, 3061–3084). Sowohl der geringere freiwillige Berichtsumfang als auch die negativen Kapitalmarktreaktionen implizieren, dass die Kosten der Berichtspflichten die erwarteten Vorteile deutlich zu übersteigen scheinen und insofern eine Netto-Belastung – insbesondere bei Mittelständlern – darstellen. Aus Unternehmensperspektive scheinen die von den zahlreichen Nachhaltigkeitsberatern gepriesenen Vorteile die zusätzlichen Kosten nicht ausreichend zu kompensieren.
Ist die Regulierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung also ein Fehler? Nicht unbedingt. Theoretisch ist Regulierung genau dann gefordert, wenn individuelle Kosten-Nutzen-Kalküle nicht zu einem gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnis führen. Hier kommt der besondere Zweck der Nachhaltigkeitsberichterstattung über die sog. Targeted Transparency ins Spiel: Unternehmen werden nicht direkt verpflichtet, nachhaltiger zu agieren, sondern durch die Berichterstattung über ihre Nachhaltigkeitspraktiken dazu angeregt, sich zu verbessern. Transparenz erzeugt Druck von Stakeholdern, der Verhaltensänderungen bewirken kann. Im Kern geht es darum, negative Externalitäten – wie Umweltverschmutzung oder soziale Missstände – zu internalisieren. Unternehmen sollen die wahren Kosten ihres Handelns in ihre Entscheidungen einbeziehen, was langfristig zu einer Verbesserung der Gesamtwohlfahrt führen kann, auch wenn die Unternehmen individuell betrachtet negativ belastet werden. Entscheidend für die Beurteilung der Regulierung ist hier also, ob Berichtspflichten tatsächlich Verhaltensänderungen induzieren können.
Studien liefern erste Hinweise darauf, dass Berichtspflichten zu positiven Veränderungen führen: Unternehmen, die zur Berichterstattung verpflichtet werden, zeigen Verbesserungen in Bereichen wie Arbeitsbedingungen, Reduktion von CO2-Emissionen und Wasserverschmutzung oder Investitionen in Corporate-Social-Responsibility-(CSR-)Aktivitäten (s. statt aller Fiechter/Hitz/Lehmann, Journal of Accounting Research 2022, 1499–1549). Allerdings bleiben die erzielten Verbesserungen oft moderat: Durchschnittlich sanken bspw. CO2-Emissionen nur um gut 8 % (s. statt aller Downar u. a., Review of Accounting Studies 2021, 1137–1175). Daneben zeigen Studien, dass umweltintensive Produktionsstätten oft bloß in nicht regulierte Länder verlagert werden (s. statt aller Ecker/Keeve, Managing Corporate Emission Disclosures Through Divestitures, 10.8.2023, https://ssrn.com/abstract=4517339, Abruf: 11.2.2025). Wir sehen auch, dass Konsumenten und Kleinanleger moderat bis gar nicht auf unternehmerische Nachhaltigkeitsinformation reagieren. Unter Beachtung des hohen Erstellungsaufwands der Berichte relativieren sich diese Ergebnisse weiter. Kapitalmarktorientierte Unternehmen müssen hierfür häufig ganze Abteilungen mit zweistelligen Mitarbeiterzahlen aufbauen. Für nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen, die über weniger Ressourcen verfügen, sind die relativen Belastungen noch höher.
Diese Überlegungen werfen die Frage auf, ob die angestrebten Nachhaltigkeitsziele nicht durch alternative Instrumente besser erreicht werden könnten. Ein Blick in den Werkzeugkasten der Volkswirtschaftslehre zeigt beispielsweise, dass eine Pigou-Steuer, die negative Externalitäten wie CO2-Emissionen umfassend bepreist, einen direkten wirtschaftlichen Anreiz für Verhaltensänderungen schaffen würde. Zwar ist die Einführung von Berichtspflichten politisch oft leichter umsetzbar – schließlich wird sich kaum jemand gegen mehr Transparenz aussprechen –, doch könnten ESG-Ziele durch andere Ansätze vermutlich schneller und effizienter erreicht werden.
Prof. Dr. Martin
Nienhaus
ist Inhaber des Lehrstuhls für Financial Accounting an der Ruhr-Universität Bochum, wissenschaftlicher Direktor sowie stellvertretender Geschäftsführer des Instituts für Unternehmensführung (ifu) und forscht zur Unternehmensberichterstattung.
Nienhaus, BB 2025, Heft 09, Umschlagteil, I