EU Listing Act – Gute Nachrichten für Wachstumsunternehmen

EU Listing Act – Gute Nachrichten für Wachstumsunternehmen

Abbildung 1

Die Kommission geht mit der Einführung von Mehrfachstimmrechtsaktien und der teilweisen Aussetzung der Unbundling-Regelung einen mutigen Schritt.

Ein erleichterter Kapitalmarktzugang für Unternehmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), ist ein Projekt, das die Kommission aus guten Gründen schon seit vielen Jahren verfolgt. Seit der Veröffentlichung des Grünbuchs zur Schaffung einer Kapitalmarktunion im Jahr 2015 steht dieses Thema ganz oben auf der Agenda der Kommission. Das jüngste Projekt aus diesem Handlungsfeld ist der Vorschlag für einen Listing Act, welcher im Dezember vergangenen Jahres vorgelegt und bis zum 28.3.2023 konsultiert wurde. Bis Ende des Jahres soll er Rechtskraft erlangen.

Während der Befund, dass es den EU-Kapitalmärkten an Größe und Liquidität fehlt, unumstritten ist, gibt es hinsichtlich der Therapie weniger Einigkeit. Die Kommission verfolgt v. a. den Weg, über eine stärkere Harmonisierung der Fragmentierung der Kapitalmärkte in der EU entgegenzuwirken. Auch der neueste Listing Act kann als ein Mittel zur Verfolgung dieses Ziels eingeordnet werden. Wenngleich ich diese Zielsetzung teile, sollte nicht vergessen werden, dass die fundamentalen Gründe für die Schwäche der EU-Kapitalmärkte im Altersvorsorgesystem liegen. Dieses ist in vielen Mitgliedsländern immer noch so ausgerichtet, dass insbesondere Aktienmärkten keine nennenswerte Rolle zukommt. Daher darf man sich auch nicht wundern, wenn es diesen Märkten an entsprechender Größe und Liquidität fehlt.

Unabhängig von diesem fundamentalen Aspekt sei aber betont, dass der Listing Act einen durchaus nennenswerten Schritt in die richtige Richtung darstellt. Im Wesentlichen enthält er Regelungen zu drei Bereichen: (i) Zulassung von Mehrfachstimmrechtsaktien; (ii) Vereinfachung des Zulassungsprozesses und Verbesserung der Transparenz auf KMU-Wachstumsmärkten; (iii) Klarstellung einiger potentiell abschreckend wirkender Marktmissbrauchsregelungen.

Mit der Einführung von Mehrfachstimmrechtsaktien wird eine Abkehr von einer seit der One-Share-One-Vote-Debatte der 1990er Jahre vorherrschenden Haltung vollzogen, wonach Mehrfachstimmrechtsaktien den Investorenschutz beinträchtigen würden. Damit beschreitet die EU einen Weg, der in anderen Ländern, zuletzt in Großbritannien, bereits eingeschlagen wurde. Und auch die Bundesregierung hat mit dem Entwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz einen Vorschlag vorgelegt (s. dazu auch Geier, BB 20/2023, Die Erste Seite; Kaserer, CF 2023, 5-6/2023, M1), der zur Wiedereinführung von Mehrfachstimmrechtsaktien führt. Wenngleich nicht in Abrede gestellt werden soll, dass Mehrfachstimmrechtsaktien Risiken für die Streubesitzaktionäre beinhalten, sollte man nicht vergessen, dass sie gerade bei familien- oder gründergeführten Unternehmen die Bereitschaft, sich Risikokapital über einen Börsengang zu beschaffen, erhöhen. Da die Richtlinie bestimmte Verfallsklauseln vorsieht, wie etwa beim Verkauf von Mehrfachstimmrechtsaktien an Dritte, und sie sich auf Unternehmen beschränkt, die eine Zulassung zu einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben, ist nach meiner Einschätzung den Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung des Investorenschutzes ausreichend Rechnung getragen.

Bei den vorgeschlagenen Änderungen der Prospekt-VO handelt es sich um eine Vielzahl von zum Teil eher technischen Vorschriften. Hervorzuheben ist allerdings, dass insbesondere für Unternehmen, deren Aktien an KMU-Wachstumsmärkten notiert werden, die Tatbestände, unter denen Folgeemissionen prospektfrei durchgeführt werden können, erweitert werden. Auch soll ein neuer EU-Folgeprospekt eingeführt werden, um die administrativen Hürden bei solchen Sekundäremissionen, die nicht von Ausnahmeregelungen profitieren, zu reduzieren. Interessant ist auch der Versuch, die heute teils ausufernden Prospekte stärker zu standardisieren. Hierfür wird insbesondere eine Regelung eingeführt, wonach Prospekte bei Aktienemissionen nicht länger als 300 Seiten (DIN-A4) sein dürfen. Diese Beschränkung ist durchaus ambitioniert. Nach einer Untersuchung von Oxera aus dem Jahr 2019 betrug die durchschnittliche Länge von Prospekten in der EU 400 Seiten – und in Italien lag sie sogar bei über 800 Seiten. Ob eine solche Vorschrift allerdings mehr als nur kosmetische Bedeutung hat, kann durchaus bezweifelt werden. Bei den jetzt neu geregelten Wachstumsemissionsdokumenten wird die Seitenzahl sogar auf 75 begrenzt. Hier wird allerdings auch der Versuch unternommen, für eine stärkere inhaltliche Vereinfachung und Standardisierung zu sorgen.

Wichtiger erscheint mir hingegen, dass die Freistellung von der sog. Unbundling-Regelung, also die finanzielle Trennung von Aktien-Research und anderen Dienstleistungen, für Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von bis zu 1 Mrd. Euro auf 10 Mrd. ausgedehnt werden soll. Das Unbundling ist von vielen Seiten kritisiert worden, weil es insbesondere zu einem Rückgang von Analysetätigkeiten bei kleinen und mittleren Unternehmen führe. Zwar ist es schwierig, hierfür eine klare empirische Evidenz vorzulegen, dennoch gibt es Studien, die diese Befürchtung zumindest untermauern (Fang u. a., Review of Accounting Studies 2020, 855–902, und Guo/Mota, Journal of Financial Economics 2021, 97–126). Mit der jetzt vorgeschlagenen Regelung wird die Zahl der Unternehmen, die davon profitieren, deutlich steigen und damit der potentielle Schaden für Wachstumsunternehmen begrenzt.

Schließlich ist auch noch zu erwähnen, dass die Marktmissbrauchs-VO u. a. dahingehend präzisiert werden soll, dass Emittenten bei Marktsondierungen mehr Rechtssicherheit haben (Safe-Harbour-Klausel) und dass Erleichterungen bei der Führung von Insiderlisten eingeführt werden.

Abschließend kann man also sagen, dass die Kommission mit dem Listing Act einen durchaus mutigen Schritt getan hat. Vor allem die Einführung von Mehrfachstimmrechtsaktien und die teilweise Aussetzung der Unbundling-Regelung wird sich positiv auf die Kapitalmarktfinanzierung von Wachstumsunternehmen auswirken.

Prof. Dr. Christoph
Kaserer
ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Technischen Universität München. Seit 2016 ist er auch Mitglied der Group of Economic Advisors bei der Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA).

Kaserer, BB 2023, Heft 25, Umschlagteil, I