Braucht es ein SanInsFoG-Reparaturgesetz?

Braucht es ein SanInsFoG-Reparaturgesetz?

Abbildung 1

Nach dem beachtlichen Kraftakt der Legislative im Frühjahr 2020 im Zuge der COVID-19-Gesetzgebung haben Bundestag und Bundesrat im Herbst eine Vielzahl weiterer Gesetze im Zusammenhang mit Krise, Insolvenz, Sanierung und Restrukturierung verabschiedet. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 2020, 3256) enthält nicht nur in Art. 1 das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), sondern weitreichende Änderungen auch im Gesellschaftsrecht sowie der Insolvenzordnung (vgl. Desch, BB 2020, 2498; Gehrlein, BB 2021, 66; Heidrich/Gabriel, SanB 2020, 164; Rath, BB 2/2021, “Die Erste Seite”).

In den sozialen Netzwerken werden derzeit u. a. durch Dr. Annerose Tashiro, Prof. Dr. Heribert Hirte, Prof. Dr. Georg Streit, Tom Hinrich Brägelmann und Martin Horstkotte verschiedene Fallgestaltungen diskutiert, die Anlass geben, einzelne Entscheidungen des Gesetzgebers auf den Prüfstand zu stellen. Nachdem bereits durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, 2026) die Insolvenzantragspflichten zentral in § 15a InsO geregelt worden sind, hat der Gesetzgeber nunmehr eine Neuregelung zur Erstattung verbotswidriger Zahlungen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung getroffen. Die bisherigen Vorschriften der § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG, § 99 S. 1 GenG und §§ 130a, 177a HGB wurden mit Wirkung zum 31. Dezember 2020 aufgehoben und durch § 15b InsO, der nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH korrigieren soll, geregelt. Dabei hat der Gesetzgeber in § 15b Abs. 1 InsO das Zahlungsverbot verortet, das freilich nicht für Zahlungen gilt, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Gem. Art. 16 SanInsFoG wurde § 64 GmbHG aufgehoben. Gem. Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG trat das Gesetz am 1. Januar 2021 in Kraft. Dies wirft die Frage auf, ob die Norm des § 64 GmbHG (und der genannten Parallelvorschriften) in Altfällen überhaupt noch gilt, da eine Übergangsvorschrift fehlt. Für das Insolvenzrecht hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung getroffen: Gem. Art. 103m EGInsO in der Fassung von Art. 8 SanInsFoG sind auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1. Januar 2021 beantragt worden sind, die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Ob es sich bei § 64 GmbHG allerdings um eine insolvenzverfahrensrechtliche Norm handelt, mag bezweifelt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH (15.3.2016 – II ZR 119/14, BB 2016, 1041 ff.) handelt es sich um eine insolvenzrechtliche Norm (ebenso EuGH, 10.12.2015 – Rs. C-594/14, BB 2016, 141 ff.). Es ist daher denkbar, die – tatsächlich nicht mehr existierende Norm des § 64 GmbHG – in Insolvenzverfahren, die vor dem 1. Januar 2021 beantragt worden sind, weiter anzuwenden.

Mit guten Gründen wird aber auch vertreten, dass der Gesetzgeber bewusst die von ihm als unrichtig angesehene Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH korrigieren wollte. Folgt man dem, so ist auf Altverfahren die Neuregelung aus § 15b InsO analog anzuwenden. Dies eröffnet dann z. B. dem Geschäftsführer u. a. die Möglichkeit, nachzuweisen, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist als die Summe der zu erstattenden Beträge. Wenn dem Gesetzgeber die Korrektur der Rechtsprechung des BGH so wichtig ist, ist es mit guten Argumenten dem Geschäftsleiter zuzubilligen, in Altfällen heute bereits in den Genuss der Neuregelung des § 15b Abs. 4 InsO zu kommen.

Eine weitere Neuerung dürfte – zumindest auf den ersten Blick – zur Erleichterung bei Geschäftsleitern führen, da eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten gem. § 15b Abs. 8 S. 1 InsO nicht vorliegen soll, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden. Es steht allerdings noch in den Sternen, ob der BFH eine insolvenzrechtliche Norm berücksichtigen wird, die die Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten regeln soll. Die steuerliche Haftung gehört in das System der AO (§§ 34, 69 AO) und nicht in das Insolvenzrecht.

Der Verweis in § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG auf § 64 GmbHG ist seit dem 1. Januar 2021 sinnlos, da die in Bezug genommenen Normen aufgehoben sind. Nachdem viel über dieses Thema getwittert worden ist, hat das BMJV am 20. Januar 2021 eine Formulierungshilfe vorgelegt, wonach in den Neufällen ein Verweis auf § 15b Abs. 1 bis Abs. 3 InsO vorgesehen ist.

Die Bestimmung des § 102 StaRUG regelt Hinweis- und Warnpflichten der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte bei Erstellung des Jahresabschlusses und Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach §§ 17 bis 19 InsO. Zunächst war in § 2 SanInsFoG-RegE vorgesehen, dass die Geschäftsleiter die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger bei drohender Zahlungsunfähigkeit wahren. Für Pflichtverletzungen sollten sie nach § 3 StaRUG-RegE einzustehen haben. Beide Vorschriften wurden im weiteren Gesetzgebungsverfahren fallen gelassen; die Warn- und Hinweispflicht bei einem freiwilligen Insolvenzgrund nach § 18 InsO in § 102 StaRUG ist allerdings geblieben, obwohl die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) gerade nicht zu einer Insolvenzantragspflicht führt. Insoweit wird vertreten, dass z. B. der Vorstand einer Aktiengesellschaft gem. § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten hat, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Demnach soll § 102 StaRUG dann auf die gesellschaftsrechtlichen Pflichten verweisen. Im Hinblick darauf, dass die Haftung der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte streng ist, sollte eine klare gesetzliche Regelung getroffen werden.

Letztlich wird durch das SanInsFoG eine Regelung zu “öffentlichen Restrukturierungssachen” (§§ 84 bis 88 StaRUG) getroffen, die erst am 17. Juli 2022 in Kraft treten soll (Art. 25 SanInsFoG). Die Praxis der Restrukturierung hätte die verzögerte Einführung dieser Vorschriften gerne vermieden.

Trotz der sorgfältigen und umfassenden Beratung durch den Gesetzgeber sind einige Punkte offen. Die Rechtsanwender können darauf warten, dass der BGH, sei es der II., sei es der IX. Zivilsenat, diese Fragen entscheidet. Bis dahin wird Rechtsunsicherheit herrschen, die sowohl die Geschäftsleiter als auch die Insolvenzverwalter sowie die jeweiligen Berater belastet. Es ist daher zu wünschen, dass der Gesetzgeber schnell durch einige klarstellende Normen hilft und mit einem SanInsFoG-Reparaturgesetz (SanInsFoG-RepG) Rechtssicherheit schafft.

Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.

Schmittmann, BB 2021, Heft 04, Umschlagteil, I