Von Schweden lernen – wie Deutschland das Stottern des Börsenmotors überwinden kann
Schweden zeigt, wie die Mobilisierung von Kapital über die Altersvorsorge den Menschen Wohlstand beschert und dem Kapitalmarkt Schwung verleiht.
Während in Deutschland der Börsenmotor stottert, finanzieren in Schweden viele Unternehmen Wachstum, Innovation und Beschäftigung über die Börse. Von 2016–2024 betrug die Zahl der Börsengänge in Schweden 553, in Deutschland 79. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage: Was können wir von Schweden lernen?
Während die Deutschen für ihre Ersparnisse arbeiten, lassen die Schweden ihre Ersparnisse für sich arbeiten, indem sie in Aktien, Aktienfonds und Aktien-Exchange-Traded-Funds(-ETF) investieren (s. dazu ausführlich Deutsches Aktieninstitut/Boerse Stuttgart Group, Mit dem Kapitalmarkt zur Zukunftsnation, https://www.dai.de/fileadmin/user_ upload/020425_ Schweden_ Kapitalmarkt_ Boerse_ Stuttgart_ Aktieninstitut_ DE.pdf, Abruf: 14.11.2025). Damit schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Über eine aktienorientierte Altersvorsorge sichern sie sich den Lebensstandard im Alter. Mit dem steuergeförderten Anlagesparkonto legen viele Schweden zusätzlich Geld am Kapitalmarkt an. Damit stellen sie der schwedischen Wirtschaft zugleich über die Börse Mittel zur Wachstumsfinanzierung zur Verfügung.
Dass die Schweden heute ein Volk von Aktionären sind, ist kein Selbstläufer, sondern das Resultat einer konsequenten Politik der Förderung der Aktienanlage seit den 1970er Jahren. Den endgültigen Durchbruch brachte die Einführung der Prämienrente in der ersten Säule der staatlich geförderten Altersvorsorge im Jahr 1999. Seitdem müssen alle Erwerbstätigen in Schweden 2,5 % ihres Gehalts in Fonds anlegen. 95 % der Gelder in der Prämienrente fließen in Aktienfonds. Schließlich wurde 2012 ein steuergefördertes Anlagesparkonto (“Investeringssparkonto”) eingeführt, mit dem der Staat den Wertpapierbesitz für den langfristigen Vermögensaufbau fördert. Inzwischen haben 3,8 Mio. Schweden ein solches Konto.
Durch diese Maßnahmen ist jeder vierte Schwede Aktionär eines Unternehmens weltweit, jeder fünfte besitzt Aktien eines schwedischen Unternehmens.
Der schwedische Lösungsweg, Kapital für die lokalen Unternehmen über staatliche Förderung in der Altersvorsorge und im Vermögensaufbau zu mobilisieren, ist richtungsweisend für Deutschland. Es ist daher wichtig, die Anlage in Aktien, Aktienfonds und Aktien-ETF in allen drei Säulen der Altersvorsorge in Deutschland endlich ergänzend fest zu etablieren.
In der privaten Altersvorsorge hat die Bundesregierung beschlossen, dass sie noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge auf den Weg bringen wird. Die internationale Praxis zeigt, dass dafür ein Altersvorsorgedepot das Mittel der Wahl ist. In den USA sparen 55,5 Mio. Haushalte mit einem Individual Retirement Account. Der Anteil an Aktien, Aktienfonds und Aktien-ETF beträgt mehr als 80 %. In Frankreich haben schon mehr als 10 Mio. Menschen einen Plan d’épargne retraite, obwohl dieser erst 2019 eingeführt wurde. Die Aktienquote in den französischen Altersvorsorgedepots beträgt durchschnittlich 54 %.
Beim Altersvorsorgedepot muss das Rad nicht neu erfunden werden. Vielmehr kann die Bundesregierung auf einen Gesetzentwurf aus der vergangenen Legislatur zurückgreifen, der eine unbürokratische, kosteneffiziente und garantiefreie Altersvorsorge erlaubt (BT-Drs. 20/14027). Wichtig ist zudem, dass die geplante Frühstart-Rente, bei der jedes Schulkind ab dem sechsten bis zum 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro für ein Aktiendepot vom Staat erhalten soll, fließend in ein Altersvorsorgedepot mündet.
Unzureichend sind hingegen die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung in der betrieblichen Altersvorsorge: Zwar bietet die 2018 eingeführte reine Beitragszusage eine große Chance. International sind diese “Defined-Contribution”-Modelle, bei denen der Arbeitgeber nur feste Beiträge zusagt, aber keine garantierte Höhe der späteren Rente, auf dem Vormarsch. Solch ein Modell eignet sich besonders gut für die ertragreiche Aktienanlage. Allerdings ist dieses Modell von einer Einigung der Sozialpartner abhängig. Die IG Metall als mitgliederstärkste Gewerkschaft in Deutschland erteilte diesem Modell eine Absage. Um die reine Beitragszusage flächendeckend und insbesondere auch für die Belegschaft kleinerer Unternehmen zugänglich zu machen, bedarf es daher Lösungen jenseits des Sozialpartnermodells, die leider nicht absehbar sind.
Idealerweise sollte die Umlage um eine Aktienrente in der gesetzlichen Rente nach dem schwedischen Vorbild ergänzt werden. Dies ist von der Bundesregierung allerdings bislang nicht vorgesehen.
Ebenfalls fehlt auf der Agenda der Bundesregierung ein steuergefördertes Anlagesparkonto zur allgemeinen Vermögensbildung, das sich nicht nur in Schweden (Investeringssparkonto), sondern auch in Frankreich (Plan d’épargne en actions) oder in Italien (Piani Individuali di Risparmio) bewährt hat. Die polnische Regierung hat kürzlich angekündigt, ebenfalls ein solches Konto einzuführen. Die Europäische Kommission hat allen Mitgliedstaaten die Empfehlung gegeben, ein solches Anlagesparkonto einzuführen. Die Kriterien geben viel Flexibilität in der Umsetzung. So werden von den Mitgliedstaaten beispielsweise keine Garantien verlangt, die die Aktienanlage erschweren. Sehr wichtig ist außerdem die Empfehlung für eine attraktive steuerliche Förderung. Auch in Deutschland brauchen wir ein solches Anlagesparkonto.
Schweden zeigt, wie die Mobilisierung von Kapital über die Altersvorsorge den Menschen Wohlstand beschert und dem Kapitalmarkt Schwung verleiht. Es ist höchste Zeit, diesen Weg auch in Deutschland zu gehen.
Henriette
Peucker
ist seit Juli 2024 Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts e. V. Zuvor verantwortete sie u. a. die politische Interessenvertretung der Gruppe Deutsche Börse in Berlin, Luxemburg und Brüssel und beriet Unternehmen insbesondere in regulatorischen Fragen.
Peucker, BB 2025, Heft 49, Umschlagteil, I
