Anpassungen im Arbeitsrecht: Auf was wartet die Politik?

Anpassungen im Arbeitsrecht: Auf was wartet die Politik?

Abbildung 1

Leider nimmt die Bundesregierung die für die Praktiker in Unternehmen dringenden Aufgabenstellungen nicht auf.

Arbeitszeiterfassung: Viel zu lange warten wir auf eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeiterfassung. Wie lange ist es her? Mai 2019, als der EuGH festgestellt hat, es gebe eine Zeiterfassungspflicht für Arbeitnehmende. Lösung in Sicht? Nein.

Arbeitszeit: ein Dauerbrenner, neues Arbeitszeitrecht. Auch hier brauchen wir Mut und Entschlossenheit. Auch hier gerne ein gesetzlicher Rahmen mit Betriebsvereinbarungsoffenheit. Die starren acht bzw. zehn Stunden am Tag und 48 bzw. 60 Stunden in der Woche sind nicht mehr für alle Berufe zeitgemäß. Lösung in Sicht? Nein.

Betriebsrat: Das BAG entschied in einer recht aktuellen Entscheidung, dass für einen einzigen Beschäftigten mehrere Betriebsräte gleichzeitig zuständig sein können (Beschluss vom 22.5.2025 – 7 ABR 28/24, PM Nr. 22/25). Die Rechtslage hat das BAG richtig erkannt – also keine Gerichtsschelte. Aber das Gesetz passt eben nicht mehr. Seit Jahren und Jahrzehnten sind Matrixstrukturen Gang und Gäbe – das BetrVG verharrt aber nach wie vor in Strukturen aus Ende der 1960er Jahre. Virtuelle Sitzungen, virtuelle Betriebsversammlungen, virtuelle Wahlen – wir sind in der Steinzeit, die nächsten Wahlen werden – wieder – mit Papier stattfinden, etliche ungültig sein (weil die Fristen mittlerweile mit den Postlaufzeiten nicht mehr in Einklang zu bringen sind) und anfechtbar werden. Lösung in Sicht? Nein.

Betriebliche Altersversorgung: Attraktiver gemacht werden kann es für Arbeitgeber nur, wenn endlich eine uneingeschränkte Defined Contribution zulässig wird. Auch ohne Tarifvertrag. Lösung in Sicht? Nein.

Tarifvertragsgesetz: Tarifverträge müssen immer noch im Original an das Tarifregister im Bund gesandt werden, an die Tarifregister der Länder gar in “zwei Abschriften”. Dort wird eine Abschrift eingescannt, die Papiere dann geschreddert. Elektronisch? Nicht vorgesehen. Zentral schon gar nicht. Lösung in Sicht? Nein. Und was kommt stattdessen? Tariftreue. Aber wenigstens hier eine Lösung? Nein. Im Verwaltungsrecht gelten die Erfordernisse legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit. Der Regierungsentwurf fällt, hieran gemessen, gnadenlos durch. Der “legitime Zweck” mag an dieser Stelle nicht in Zweifel gezogen werden. Es ist eine politische Entscheidung. Die Koalition hat sich nun einmal hierauf geeinigt. Man kann dafür oder dagegen sein. Das bleibt jedem überlassen. Aber diese Messe ist gelesen und braucht nicht schon wieder von den üblichen Verdächtigen aufgegriffen werden. Über die Erforderlichkeit mag auch der politische Diskurs geführt werden. Auch hier dürfen Zweifel angebracht sein – denn Tarifautonomie ist eben Autonomie, also das Gegenteil von staatlichem Zwang. Staatlicher Zwang zur Durchsetzung von Autonomie? Mindestens ein Fragezeichen ist hier angebracht, aber sei’s drum. Viel interessanter ist: “Geeignetheit”? Ziel ist dem Entwurf nach eine funktionierende Tarifautonomie, eine stärkere Durchdringung mit Tarifverträgen, angemessene Arbeitsbedingungen. In § 3 des Entwurfs lesen wir dann aber “den zur Leistungserbringung eingesetzten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern [sind] für die Dauer, in der sie in Ausführung des öffentlichen Auftrags . . . tätig sind, mindestens” die Tarifleistungen zu gewähren. Das ist, mit Verlaub, nicht geeignet, die Zwecke des Gesetzes zu erreichen. Vor und nach dem Auftrag – egal; die Beschäftigten des Unternehmens, die nicht für den Auftrag arbeiten – egal.

In § 5 des Entwurfs lesen wir: “Sind in einer Branche Arbeitsbedingungen . . . in . . . Tarifverträgen mit unterschiedlichen räumlichen Geltungsbereichen geregelt, sollen die in den Tarifverträgen geregelten Arbeitsbedingungen in einer Rechtsverordnung zusammengefasst werden.” Fein. Bösartige These meinerseits: Das schafft niemand. Nach dem BMAS gibt es rund 90 000 Tarifverträge. Muss man mehr sagen? Und welche gelten dann regional – ist der Sitz des Unternehmens oder der Ort der Ausführung maßgeblich? Weitere Frage: Was ist mit Haustarifverträgen, Sanierungstarifverträgen, Überleitungstarifverträgen? Tarifverträge mit denen die Unternehmen nachgerade ihren Willen zur Tarifbindung kund tun – Tarifverträge dritter Klasse? Sie sollen nicht ausreichen, angewandt zu werden? Das ist das Gegenteil der erstrebten Stärkung der Tarifautonomie.

Ich denke, dass es keiner allzu seherischen Fähigkeit bedarf, vorherzusehen, dass eine Klage vor dem Verfassungsgericht erfolgreich sein dürfte. Dabei wäre eine Lösung – wenn man das Ziel der Bundesregierung nun einmal hinnimmt und nicht grundsätzlich negiert – so einfach: “Öffentliche Aufträge werden nur an Unternehmen erteilt, die für alle ihre Beschäftigten einen fachlich einschlägigen Tarifvertrag anwenden. Als Anwendung gilt, wenn das jeweils einschlägige Grundentgelt im Verhältnis der tariflichen zur tatsächlichen Arbeitszeit der Beschäftigten vergütet wird. Sieht der einschlägige Tarifvertrag neben einem Grundentgelt weitere Leistungen wie Sonderzahlung, zusätzliches Urlaubsgeld, Leistungszulagen etc. vor, gelten, wenn diese Einzelleistungen nicht abgerechnet werden, die Voraussetzungen der tariflichen Vergütung auch als erfüllt, wenn im Jahresschnitt ein Monatsentgelt in Höhe von 110 % des Grundentgelts vergütet wird. Die Dauer der Gewährung muss in Summe mindestens einen Zeitraum von zwölf Monate umfassen, wobei der gesamte Zeitraum der Leistungserbringung abzudecken ist.” Punkt. Keine betragsmäßigen Ausnahmen (50 000 Euro Mindestauftrag), keine Ausnahmen des Geltungsbereichs (warum die Ausnahme der Bedarfe der Bundeswehr? Warum sind sicherheitsspezifische Aufträge ausgenommen?). Keine Clearingstelle (schon wieder ein Ausschuss . . .).

Dürfen wir noch hoffen? Die Regierungsparteien haben nun nach einer gemeinsamen Sitzung in Würzburg zugesagt, ab Herbst zu performen. Nehmen wir das einmal als Zusage, Notwendiges zu regeln, nicht Notwendiges sein zu lassen, zu Entbürokratisieren, und Gesetze zu machen, die geeignet sind, den politischen Willen umzusetzen. Wichtig genug wäre das, um die Akzeptanz der Parteien der Mitte neu erstarken zu lassen.


Alexander R.
Zumkeller
, MBA, RA, Wirtschaftsmediator, ist Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (www.bvau.de), der branchenübergreifenden, personenbezogenen und bundesweit tätigen Vereinigung für Arbeitsrechtler in Unternehmen. Nach 20 Jahren in Arbeitgeberverbänden, zuletzt als Geschäftsführer tätig, ist er seit 2007 bei ABB und heute dort Arbeitsdirektor und Country HR Manager ABB Deutschland.

Zumkeller, BB 2025, Heft 38, Umschlagteil, I