Digitale Betriebsratswahl nicht erst 2030 – es ist fünf vor zwölf, um noch etwas zu erreichen

Digitale Betriebsratswahl nicht erst 2030 – es ist fünf vor zwölf, um noch etwas zu erreichen

Abbildung 1

Jede Wahl, jede Stimme sollte uns wichtig sein – gerade in Zeiten, in denen demokratische Prozesse nicht mehr selbstverständlich sind.

Wer regelmäßig politische Prozesse verfolgt, hat häufig den Eindruck, ein Déjà-vu zu haben. Alle wollen Veränderungen, aber nichts passiert.

So ist es auch bei der digitalen Betriebsratswahl. Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD findet sie erneut ihren Platz, nachdem die Ampel-Regierung sie bereits versprochen hatte. Zu einem mehrheitsfähigen Gesetzesentwurf ist es bekanntlich nicht gekommen. Dabei drängt die Zeit.

Unternehmen haben ein Interesse daran, dass die Arbeitnehmervertretung zuverlässig ist. Und je stärker die Legitimierung des gewählten Betriebsrats, desto nachhaltiger sind die getroffenen Vereinbarungen mit ihm. Wenn durch Home-Office, Teilzeitarbeit oder andere Abwesenheiten viele Wahlberechtigte nicht über den nächsten Betriebsrat mitbestimmen können, dann ist das schlecht. Aber das muss nicht so sein.

Schon ab 2026 könnte die Stimmabgabe bei Betriebsratswahlen auch online erfolgen und so allen das Leben einfacher machen, denn dann stehen die nächsten bundesweiten Betriebsratswahlen an. Dafür müsste lediglich die Wahlordnung auf Bundesebene geändert werden. Sie soll endlich kommen, flankiert von digitalen Betriebsratssitzungen und digitalen Betriebsversammlungen, die als gleichwertige Alternativen zur Präsenzteilnahme etabliert werden sollen. Eine begrüßenswerte Ankündigung! 2026 mag auf dem Papier noch weit weg wirken, ist in der Realität großer Unternehmen, die sich auf die Betriebsratswahl langfristig vorbereiten müssen, aber übermorgen. Wenn das Gesetz bis zur Sommerpause 2025 nicht beschlossen wird, werden viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, noch davon profitieren zu können – und wir stehen wieder vor einem analogen Wahlmarathon, drucken Millionen von Stimmzetteln. Nur um sie anschließend von Hand zu zählen. All das, während die Digitalisierung in der Arbeitswelt längst Alltag geworden ist.

Die neue Bundesregierung scheint es mit der Digitalisierung ernst zu meinen. Mit einem eigenen Digitalministerium wurde ein starkes Zeichen gesetzt. Die Umsetzung der digitalen Betriebsratswahl liegt allerdings im Bundesministerium für Arbeit und Soziales – und genau dort muss jetzt gehandelt werden. Denn die digitale Betriebsratswahl bietet nicht nur ein modernes Update für die Mitbestimmungskultur in Deutschland, sie ist ein echter Fortschritt für alle Beteiligten.

Die Wahl kommt so zu den Menschen – nicht umgekehrt. Es ist ein Angebot an alle, sich demokratisch zu beteiligen, ohne organisatorische Hürden. Gerade für Beschäftigtengruppen, die traditionell schlechter erreichbar sind, ist das ein Gewinn. Die Durchführung der Wahl ist zudem effizienter, schneller, kostengünstiger und nachhaltig. Aufwendige Druck- und Versandprozesse entfallen, Arbeitnehmer müssen nicht im bisherigen Umfang als Wahlhelfer bereitgestellt, Wahllokale nicht organisiert, Schichten nicht vorzeitig beendet werden. Kurzum: Ressourcen werden geschont, ohne die Wahlqualität zu gefährden.

Jede Wahl, jede Stimme sollte uns wichtig sein – gerade in Zeiten, in denen demokratische Prozesse nicht mehr selbstverständlich sind.

In vielen Bereichen unserer Gesellschaft ist die Online-Wahl kein technisches Experiment mehr, sondern ein etablierter Standard. So genießen beispielsweise europäische Aktiengesellschaften, die sog. Societas Europaea (SE), gemäß EU-Recht Satzungsfreiheit bei der Ausgestaltung ihrer innerbetrieblichen Mitbestimmung. Viele dieser Unternehmen führen ihre Wahlen zur Arbeitnehmervertretung bereits digital durch. Auch ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass Deutschland Nachzügler ist: In Frankreich etwa ist die digitale Wahl des Comité social et économique (CSE), also der Arbeitnehmervertretung, bereits seit 2020 gesetzlich geregelt und in der Praxis bewährt.

In deutschen Bundesbehörden wiederum werden Gleichstellungsbeauftragte schon seit mehreren Jahren digital gewählt. Dass Online-Wahlen auch in der politischen Willensbildung angekommen sind, zeigen auch Beispiele aus der Parteienlandschaft: Die SPD etwa hat zuletzt ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag digital bestimmen lassen. Ebenso haben FDP und Grüne bereits digitale Mitgliederentscheide durchgeführt. Und die CDU nutzte die digitalen Möglichkeiten seit 2021 für verschiedene Wahlen oder setzte sie während der Pandemie auf digitalen Bundesparteitagen ein.

Selbst in berufsständischen Kammern wird inzwischen online gewählt – nicht zuletzt, um die Beteiligung zu erhöhen und den Wahlprozess zeitgemäß zu gestalten. Hochschulen nutzen digitale Wahlen für ihre Gremien ebenso wie Studierendenvertretungen und Personalräte in großen Unternehmen oder im öffentlichen Dienst. Und auch die Urabstimmung der EVG über den Streik 2023 fand digital statt.

Diese Beispiele machen deutlich: Die digitale Wahl ist bewährt, rechtssicher und praxistauglich. Und sie wird längst von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in ganz unterschiedlichen Kontexten genutzt. Die Betriebsratswahl bildet hier bisher eine unverständliche Ausnahme.

Neben der Ampelkoalition hatte auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Antrag zur digitalen Betriebsratswahl eingebracht. An mangelnden Vorlagen kann es also nicht scheitern.

Doch wenn die digitale Wahl bis 2026 ein Erfolgsprojekt für die Bundesregierung werden soll, darf das Gesetzesvorhaben nicht verzögert, sondern muss jetzt – idealerweise noch vor der parlamentarischen Sommerpause – in Gesetzesform gegossen werden. Ansonsten heißt es: Warten bis 2030.

Die Technologie für sichere Online-Wahlen ist längst vorhanden. Mit Ende-zu-Ende-Verifizierbarkeit lassen sich Wahlen nachweisbar sicher durchführen. Eine Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik wäre wünschenswert und würde zusätzlich Vertrauen schaffen. Und warum bei der Betriebsratswahl aufhören? Auch die Digitalisierung der Sprecherausschusswahlen und die für 2028 anstehenden Personalratswahlen sollten ihre Chance bekommen.

Wir können das. Wir haben alles. Verpassen wir nicht auch noch diese Chance!


Jan
Wegner
ist Geschäftsführer der POLYAS GmbH, einer auf digitale Wahllösungen in Deutschland spezialisierten Gesellschaft. Er engagiert sich seit Jahren für die Modernisierung demokratischer Prozesse in der Arbeitswelt.

Wegner, BB 2025, Heft 24, Umschlagteil, I