Ankündigungen des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD im Bereich ESG
Im Bereich ESG deutet der Koalitionsvertrag umfassende Anpassungen der legislativen Vorgaben an – welche Anpassungen tatsächlich implementiert werden, muss sich zeigen.
Der am 9.4.2025 vorgestellte Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist der Startschuss für die Zusammenarbeit der neuen Bundesregierung. Gleichzeitig wurde die im Koalitionsvertrag genannte “Abschaffung” des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) teils (wohl vorschnell) als Ende des LkSG verstanden. Vielmehr wollen die Koalitionspartner lediglich die Berichtspflicht “unmittelbar” abschaffen. Das LkSG soll im Übrigen durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt werden, welches die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzen soll. Eine Vollharmonisierung verlangt die CSDDD jedoch gerade nicht (vgl. Art. 4 CSDDD). Es verbleiben daher nationale Spielräume. Ob und wie diese von der neuen Bundesregierung bespielt und welche Vereinfachungen für Unternehmen damit tatsächlich verbunden sein werden, ist im Koalitionsvertrag nicht näher spezifiziert.
Deutschland hat aufgrund der Anpassung der Umsetzungsfristen durch die “Stop the clock”-Richtlinie bis zum 26.7.2027 Zeit, um die CSDDD in nationales Recht umzusetzen (vgl. hierzu auch Ruttloff/Burchert, BB 2025, 972 ff.). Angesichts der EU-Omnibus-Initiative ist auf EU-Ebene aktuell jedoch noch Vieles im Fluss. Es liegt nahe, dass vor der Veröffentlichung eines konkreten Gesetzesentwurfs zunächst die weiteren Anpassungen der CSDDD abgewartet werden. Bis dahin bleibt das LkSG geltendes Recht.
Bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen die “gesetzlichen Sorgfaltspflichten” – gemeint sind wohl Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten – nicht sanktioniert werden. Eine Ausnahme soll jedoch bei “massiven Menschenrechtsverletzungen” gelten. Diese Aussage im Koalitionsvertrag bleibt – im Lichte des Kompromisscharakters – vage. Sie lässt Interpretationsspielräume offen, denn das LkSG sanktioniert “Menschenrechtsverletzungen” nicht per se, sondern vielmehr die unangemessene Umsetzung von Compliance-Maßnahmen zu deren Prävention und Abhilfe (Bemühenspflichten). Außerdem kennt das LkSG keine Kategorie “massiver Menschenrechtsverletzungen”. Dies würde für betroffene Unternehmen bedeuten, dass sie vorsichtshalber insbesondere weiterhin eine mit nicht unbeträchtlichem Aufwand verbundene regelmäßige und ad hoc-Risikoanalyse durchzuführen hätten und angemessene Abhilfemaßnahme ergreifen müssten. Denkbar ist ferner, dass die Koalition die nach aktuellem Sanktionskatalog des LkSG besonders hoch sanktionierte Unterlassung von Abhilfemaßnahme bei festgestellten Verstößen weiterhin sanktionieren möchte – im Übrigen aber eine Aussetzung von Sanktionen erwägt. Eine solche teilweise Aussetzung der Sanktionierung könnte durch eine gesetzgeberische “Streichung” von Bußgeldvorschriften für sonstige Verstöße gegen Vorgaben des LkSG oder durch die rein faktische Aussetzung der diesbezüglichen Rechtsverfolgung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen. Welcher Weg hierzu konkret beschritten werden soll, bleibt ebenfalls ungeklärt.
Betroffene Unternehmen sollten die Ankündigungen des Koalitionsvertrags daher nicht allein zum Anlass nehmen, um bereits ergriffene Maßnahmen und eingeführte Prozesse zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt umfassend abzubauen. Für unmittelbar betroffene Unternehmen gilt das LkSG bis zu seiner vollständigen Abschaffung fort, unabhängig davon, ob gewisse Verstöße faktisch noch nicht sanktioniert werden. Zudem ändert dem Grunde nach eine Abschaffung des LkSG auch für mittelbar betroffene Unternehmen erst einmal nichts am Bestand entsprechender vertraglicher Pflichten, soweit diese wirksam zwischen den Parteien vereinbart wurden.
Neben der Abschaffung des LkSG wollen die Koalitionspartner im Bereich ESG auch eine “überbordende Regulierung” auf EU-Ebene verhindern. Insbesondere der Pflichtenkanon der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (VO (EU) 2023/1115, EUDR) soll deutlich reduziert werden (vgl. hierzu Habbe/Henneberg/Denzel, BB 2025, 579 ff. und Ruttloff/Wagner/Kappler, BB 2024, 707 ff.) Durch Sorgfaltspflichten für Unternehmen bezweckt die EUDR den Schutz und die Wiederherstellung von Wäldern auf der ganzen Welt. Der Umfang der Pflichten hängt von dem Land ab, aus dem ein von der EUDR adressierter Rohstoff stammt. In dieser Hinsicht wollen die Koalitionspartner auf die Einführung einer “Null-Risiko-Variante” für risikoarme Regionen in die EUDR hinwirken. Erzeugnisse aus solchen Ländern sollten von den Pflichten der EUDR weitgehend ausgenommen werden. Sofern auch Deutschland als “Kein Risiko”-Land anerkannt wäre, könnte dies die deutsche Forstwirtschaft von übermäßigen Bürokratieanforderungen entlasten.
Die Vereinfachungen durch die aktuell virulente Omnibus-Initiative der EU-Kommission wollen die Koalitionsparteien unterstützen. Es sollen bürokratiearme Lösungen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen geschaffen werden. Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu: “Wir schaffen dabei Rechts- und Planungssicherheit und unterstützen die Unternehmen bei einer guten Rechtsumsetzung”. (Koalitionsvertrag, Rn. 2011 f.) Eine Erklärung, sich für eine Abschaffung oder Aussetzung der europäischen Regelungen einsetzen zu wollen, enthält der Koalitionsvertrag dagegen in dieser Hinsicht nicht.
Im Bereich ESG deutet der Koalitionsvertrag damit umfassende Anpassungen der legislativen Vorgaben an. Die weiteren Entwicklungen werden erst zeigen, welche Anpassungen tatsächlich in normativer Form oder durch entsprechende Angleichung der Vollzugspraxis auf behördlicher Ebene implementiert werden.
Dr. Marc
Ruttloff
, RA, Partner bei Gleiss Lutz an den Standorten Stuttgart und Berlin. Er berät in den Bereichen Regulatory, Öffentliches Wirtschaftsrecht und Regulierte Industrien. Schwerpunkte: Beratung zu Fragen der ESG-Compliance sowie der Product Compliance. Er leitet die Praxisgruppe Öffentliches Recht und ist Co-Head der ESG-Praxis und des Product Compliance Hubs bei Gleiss Lutz.
Prof. Dr. Eric
Wagner
, RA, ist Partner bei Gleiss Lutz. Er berät in den Bereichen Commercial, Disputes und neue Technologien. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind insbesondere Fragen der ESG-Compliance sowie der Produkthaftung und -Compliance. Er ist Co-Head des Bereichs “Regulatory & Litigation”, der ESG-Praxis und des Product Compliance Hubs bei Gleiss Lutz. 2021 hat ihn die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Honorarprofessor ernannt.
Ruttloff/Wagner, BB 2025, Heft 20, Umschlagteil, I