Zwischen Fortschritt und Rückschritt: Wirtschaftsrechtliche Baustellen aus Sicht des DAV mit Blick auf die Bundestagswahl 2025

Zwischen Fortschritt und Rückschritt: Wirtschaftsrechtliche Baustellen aus Sicht des DAV mit Blick auf die Bundestagswahl 2025

Abbildung 1

Wenn Anwältinnen und Anwälte ihre wichtige rechtsstaatliche Aufgabe weiterhin erfüllen sollen, dürfen sie nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung entkoppelt werden.

Die Bundestagswahl 2025 steht vor der Tür – ein Zeitpunkt, an dem ambitionierte Reformen oft versprochen, aber zu selten umgesetzt werden. Doch ist Stillstand keine Option. Das Eckpunktepapier des Deutschen Anwaltvereins (DAV) weist auf dringliche Baustellen hin: AGB-Recht, Geldwäschebekämpfung, Sammelanderkonten sowie das beA-Verbot für die Kommunikation mit den Finanzbehörden. Alle Parteien versprechen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Der DAV benennt konkrete Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel.

AGB-Recht: Flexibilität statt Korsett

Das deutsche AGB-Recht ist ein Paradebeispiel für die Kluft zwischen wirtschaftlicher Realität und gesetzlicher Überregulierung. Gerade im unternehmerischen Verkehr hemmt die starre Kontrolle die für individuelle Vertragsgestaltungen benötigte Dynamik. Vertragsfreiheit ist kein Relikt vergangener Tage, sondern essenziell für Innovation und Wachstum. Wer diese Freiheit einschränkt, schwächt den Justizstandort Deutschland und treibt Unternehmen ins Ausland. Wir fordern die kommende Bundesregierung daher auf, sich endlich dem AGB-Recht anzunehmen.

Geldwäsche: Ultima Ratio statt Generalverdacht

Die Neufassung des § 261 StGB sieht vor allem alle Straftaten als Geldwäschevortaten vor. Eine Geldwäschestrafbarkeit soll damit deutlich häufiger als bisher greifen. Aber: Eine solche Betrachtung entspricht weder der (bisherigen) Zielsetzung der Geldwäschebekämpfung noch führt sie zu besseren Ergebnissen. Sie ist vielmehr unverhältnismäßig und widerspricht dem Ultima-Ratio-Gedanken.

Sammelanderkonten: Die Zeit läuft ab

Eine gesetzliche Regelung der Aufsicht über anwaltliche Sammelanderkonten steht weiterhin aus. Der aktuelle Nichtbeanstandungserlass läuft Ende 2025 final aus – Eile ist geboten. Dass Rechtsanwaltskammern künftig als Aufsichtsorgane für Sammelanderkonten agieren sollen, ist aus Sicht des DAV eine gangbare Lösung. Nach der Bundestagswahl gilt es also, das Thema schnellstmöglich anzugehen und eine gesetzliche Regelung für Anwaltschaft und Mandantschaft festzuschreiben.

Digitalisierung und das beA-Dilemma

In der Theorie ist Deutschland ein Vorreiter der digitalen Justiz, in der Praxis scheitern wir an den Basics. Das Verbot, das beA für die Kommunikation mit Finanzbehörden zu nutzen, ist ein absurdes Kuriosum – ein Rückfall in die analoge Bürokratie des 20. Jahrhunderts. Hier geht es nicht nur um Effizienz, sondern um Gleichberechtigung in der digitalen Infrastruktur. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben ein Recht auf die gleichen Werkzeuge wie andere Berufsgruppen, um effizient und sicher zu arbeiten und ihre Mandantinnen und Mandanten zeitgemäß vertreten zu können. Die Aufhebung des Verbots wäre ein Minimalziel, doch der DAV fordert mehr: Eine Justiz, die den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht wird und ihre Potenziale zielgenau zu nutzen weiß – bei Wahrung der bürgerlichen Grundrechte.

Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte

Es ist notwendig, ein weiteres Thema anzusprechen: Das Attentat auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt oder der schreckliche Messerangriff von Aschaffenburg erschüttern uns bis ins Mark. Die Verhinderung derartiger Verbrechen unterstützt selbstverständlich auch der DAV. Der Wunsch nach Prävention darf jedoch nicht im Überwachungsstaat enden. Diese Gefahr besteht aber: Ob Vorratsdatenspeicherung, Chatkontrolle oder biometrische Überwachung – die Liste der staatlichen Eingriffswünsche wächst. Der DAV fordert die kommende Bundesregierung daher auf, die Ergebnisse der laufenden Überwachungsgesamtrechnung zu beachten und einer Kumulation an Eingriffen in bürgerliche Freiheitsrechte entschieden entgegenzuwirken. Ein Rechtsstaat darf nicht auf Kosten der Bürgerrechte Sicherheit suggerieren. Aus diesem Grund tritt der DAV zudem für die Schaffung einer Freiheitskommission ein, die Sicherheitsgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten hin überprüft.

Das Fundament von allem: Ein funktionierender Rechtsstaat

Die Wirtschaft ist ein wichtiges Subsystem unserer Gesellschaft. Deshalb benötigt sie ein sicheres Fundament: Einen funktionierenden Rechtsstaat. Eine zentrale Forderung des DAV ist daher die regelmäßige Anpassung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung. Hier geht es nicht um monetäre Ansprüche eines vermeintlich gut gestellten Berufsstandes. Vielmehr ist eine unabhängige, gut ausgestattete Anwaltschaft eine notwendige Bedingung für einen funktionierenden Rechtsstaat. Soll diese Grundvoraussetzung weiterhin gegeben sein, müssen auch diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die in strukturschwächeren Regionen und/oder vor allem für Verbraucherinnen und Verbraucher erreichbar sind, von ihrem Beruf leben können. Sie dürfen nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung entkoppelt werden.

Ein Appell an die Politik

Vor allem die Reformen im Wirtschaftsrecht sind keine theoretischen Diskurse, sondern praxisnahe Herausforderungen, die den Alltag von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern prägen. Die künftige Bundesregierung muss zeigen, dass sie in der Lage ist, die Balance zwischen Regulierung und Freiheit zu finden. Der DAV hat die drängenden Themen auf den Tisch gelegt. Jetzt liegt es an den Parteien, diese Themen aufzugreifen.

Dr. h. c. Edith
Kindermann
, RAin/FAinFamR, Präsidentin des DAV, Juristenausbildung an der Universität Bielefeld von 1981 bis 1988, Zulassung als Rechtsanwältin 1992, seit 1999 als Fachanwältin für Familienrecht tätig. Notarin seit 2007. Tätigkeitsschwerpunkte liegen im anwaltlichen Haftungs-, Berufs-, Gebühren-, Familien- sowie Zivilverfahrensrecht.

Kindermann, BB 2025, Heft 08, Umschlagteil, I