Nachhaltigkeit und Vergütung – eine kritische Bestandsaufnahme
ESG-KPIs sollten Teil von Long-Term-Incentives und mit etwa 30 % gewichtet sein.
“You get what you pay for!” Die meisten Vergütungsexperten sind von der steuernden Wirkung finanzieller Anreizsysteme überzeugt. Nachhaltiges Wirtschaften ist spätestens seit dem European Green Deal ein Muss für alle Unternehmen. Environmental, Social, Governance (ESG) ist das für alle Unternehmen relevante strategische Thema. Etliche regulatorische Anforderungen stellen verpflichtende Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit und Bezahlung der Mitarbeitenden her. Daher sollte das Verhältnis zwischen Nachhaltigkeit und Vergütung entspannt sein. So einfach ist es allerdings nicht. Es klemmt noch an manchen Stellen und einige Fragen sind noch offen. Nach Ansicht vieler Experten haben ESG-Kriterien bei der Vergütung noch zu wenig Gewicht. Doch es gibt auch Aussicht auf Besserung.
Aufgrund der Änderungen des Aktiengesetzes durch ARUG II soll der Aufsichtsrat bei der Vergütungsstruktur des Vorstands auch soziale und ökologische Aspekte in den Blick nehmen. Das vom Aufsichtsrat zu beschließende Vergütungssystem soll Angaben enthalten, welchen Beitrag die Vergütung zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft leistet und was die Kriterien zur Bemessung der variablen Vergütung dazu beitragen. Nach Art. 5 der EU-Offenlegungsverordnung müssen Finanzmarktteilnehmer Informationen dazu veröffentlichen, inwiefern ihre Vergütungspolitik im Einklang mit Nachhaltigkeitsrisiken steht.
Die im Januar dieses Jahres in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive verpflichtet Unternehmen, nach vorgegebenen Berichtsstandards über wesentliche tatsächliche und potentielle, positive oder negative Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch und Umwelt zu berichten, sofern diese finanziell relevant sind. Weiter sind Angaben dazu erforderlich, welche Maßnahmen das Unternehmen ergriffen hat, um diese Risiken zu kontrollieren. Und nicht zuletzt für institutionelle Investoren werden Nachhaltigkeitskritierien immer wesentlicher für ihre Anlageentscheidungen.
All das sollte Grund genug sein, die Umsetzung der Nachhaltigkeit auch durch entsprechende Vergütungssysteme zu unterstützen. Der Befund ist derzeit allerdings ambivalent. Nach einem Whitepaper des Arbeitskreises “Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung” hat die überwiegende Mehrzahl der DAX-Unternehmen ESG-Ziele in der kurzfristigen variablen Vergütung verankert, wobei mittlerweile über die Hälfte der DAX-Unternehmen auch eine Verankerung in der langfristigen variablen Vergütung vorsieht. Ausgestaltung und Bewertung sind allerdings uneinheitlich. Teilweise werden ESG-Kriterien lediglich als Multiplier mit einer Spreizung von 0,8 bis 1,2 verwandt, teilweise als eigenständige Bonuskriterien mit einer Gewichtung von durchschnittlich 22 %. Malus- und Clawbacksysteme fehlen in aller Regel. Eine Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung konstatiert Verbesserungsbedarf der Nachhaltigkeits-KPIs mit Blick auf Nachvollziehbarkeit, Ausgestaltung und Relevanz für die Vergütungshöhe. Insbesondere wird die Verwendung des Nachhaltigkeitskriteriums ESG ohne weitere Ausgestaltung kritisiert. Durch Integration in die Vorstandsvergütung könnten Unternehmen zwar deutlich machen, welche Aspekte des Themas Nachhaltigkeit unternehmerisch prioritär seien. Dafür müssten die KPIs aber auch klar definiert und transparent kommuniziert werden.
Ein weiteres Dilemma liegt bei den Zielkonflikten. Nachhaltiges Wirtschaften erfordert häufig nicht unerhebliche Investitionen, die jedenfalls kurzfristig den Ertrag schmälern. Auch dieses Spannungsfeld muss bei der Ausgestaltung der Vergütungssysteme berücksichtigt werden.
Ein Blick in den Financial Services Sektor, der schon länger einer im Detail regulierten Vergütung ausgesetzt ist, liefert Lösungsmöglichkeiten für die aufgezeigten Themen.
Die Vergütungsstrategie ist aus der Unternehmensstrategie zu entwickeln. Aus letzterer ergibt sich, welche Nachhaltigkeitskriterien für das jeweilige Unternehmen besonders relevant sind, welche Zielwerte und Zeithorizonte geplant sind. Aus der Unternehmensstrategie ergibt sich die Unternehmens- und damit auch die Investitionsplanung. Dort sind auch Investitionen zur Förderung der Nachhaltigkeit berücksichtigt. Das löst den Zielkonflikt auf.
Der individuelle Erfolgsbeitrag ist anhand der Erreichung von vereinbarten Zielen zu bestimmen, wobei sowohl quantitative als auch qualitative Vergütungsparameter angemessen berücksichtigt werden müssen. Die Vergütungsparameter sind so festzulegen, dass der Grad der Zielerreichung ermittelt werden kann (§ 19 Abs. 2 IVV). “ESG” als Kriterium ist natürlich ungeeignet, da nicht messbar.
Der Gesamtbetrag der variablen Vergütung ist unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien zu ermitteln. Unternehmensweite ESG-KPIs sollten als Multiplier in den jeweiligen Bonuswert einfließen. Das gilt jedenfalls für den Short-Term Incentive.
Nachhaltigkeit ist langfristig angelegt. Daher sollten konkrete ESG-KPIs – auch – Teil des LTI sein und dort mit einem angemessenen Anteil von 30 % berücksichtigt werden. Selbstverständlich sind hier Malus- und Clawbackregelungen vorzusehen.
Die Entwicklung unternehmensspezifischer ESG-Ziele und ihre Integration in das Vergütungssystem sind komplexe Unterfangen, die nicht auf einmal gelöst werden können. Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen verändern sich derzeit noch mit hoher Geschwindigkeit. Und der Druck der Investoren wird nicht abnehmen. Die meisten Unternehmen sind auf einem guten Weg. Es gibt noch einiges an Verbesserungspotential. Lösungen für die offenen Fragen stehen zur Verfügung.
Dr. Hans-Peter
Löw
, RA, leitet als Senior Counsel den Fachbereich Financial Services Employment Law innerhalb der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei DLA Piper UK LLP. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt auf der arbeitsrechtlichen Beratung von Finanzinstituten, auch an den Schnittstellen zu Aufsichtsrecht und Datenschutz.
Löw, BB 2023, Heft 36, Umschlagteil, I