Digitaler Bargeldersatz der EZB – spät und zaghaft?

Digitaler Bargeldersatz der EZB – spät und zaghaft?

Abbildung 1

Die zweijährige Untersuchungsphase muss intensiv genutzt werden, damit nicht wieder außereuropäische Anbieter das nächste Kapitel in der Geschichte des Zahlungsverkehrs schreiben.

Nunmehr ist die Europäischen Zentralbank (EZB) in den Wettbewerb um die Dominanz im sich immer weiter digitalisierenden Zahlungsverkehr eingetreten. Am 14. Juli 2021 hat der Rat der EZB beschlossen, eine zweijährige Untersuchungsphase zum digitalen Euro zu starten. Vorangegangen waren der Bericht über einen digitalen Euro aus dem Oktober 2020, der verschiedene Umsetzungsmodelle skizzierte. Schon auf der Herbstkonferenz 2020 der Deutschen Bundesbank hatten die EZB-Präsidentin, der Präsident der Deutschen Bundesbank und der Gouverneur der Banque de France – wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen – positive Signale ausgesendet. Dennoch betont die EZB, dass die finale Entscheidung über eine Einführung damit noch nicht getroffen sei. Auch sei damit nicht die Abschaffung des Bargelds verbunden.

Vorgeschichte

Untersucht werden sollen ab Oktober 2021 die funktionale Ausgestaltung und die Anwendungsfälle, für welche digitales Zentralbankgeld zur Verfügung stehen soll. Zurückgreifen kann die EZB dabei auf die praktischen Erprobungstests, die unter Einbeziehung von Wissenschaft und Privatwirtschaft durchgeführt wurden. Ein zentrales Ergebnis liegt darin, dass sich sowohl das TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) des Eurosystems als auch die Blockchain-Technologie als geeignet erwiesen haben, die gewünschte Transaktionszahl von 40 000 pro Sekunde abzuwickeln. Positiv bewertet werden auch Hybridmodelle mit zentralen und dezentralen Elementen. Hervorzuheben ist, dass auch im Blockchain-Modell ein deutlich geringerer Energieverbrauch als bei der Bitcoin-Blockchain festgestellt wurde.

Internationaler Wettbewerb

Das Eurosystem war, ähnlich wie andere Zentralbanken, in den letzten Jahren vermehrt unter Druck geraten, weil ihrem Einfluss auf den Zahlungsverkehr eine erhebliche Verkürzung von zwei Seiten drohte: anderen Zentralbanken und dem privaten Sektor. Schon 2014 begann die chinesische Zentralbank mit Studien zu einem digitalen Yuan. In einzelnen Großstädten wie Shenzhen folgten im vergangenen Jahr Pilotprojekte. Die Funktionsweise basiert auf QR-Codes und ähnelt dabei vielfach den bekannten Systemen von Alipay und WeChat Pay. Die Geschäftsbanken sollen in die Emission des digitalen Yuan eingebunden werden. Nicht verwendet werden soll hingegen die Blockchain-Technologie. Verbunden ist damit die nicht unproblematische Hoffnung auf eine größere Nachvollziehbarkeit der Zahlungsströme durch den Staat und zugleich auf eine verstärkte Internationalisierung der chinesischen Währung.

Auch die chinesische Initiative stellt eine Reaktion auf den Markterfolg von privaten Zahlungstoken wie Bitcoin dar, die rechtlich ungenau als “Kryptowährungen” bezeichnet werden. Überdies wurde im Sommer 2019 das private Projekt eines neuen Zahlungssystems auf Blockchain-Basis vorgestellt. Auf Initiative vor allem von Facebook wurde die Libra Association mit Sitz im schweizerischen Genf gegründet, die Geldeinheiten namens Libra ausgeben sollte. Geplant war ein sog. stable coin, dessen Wertstabilität auf der Libra Reserve in Gestalt eines gemischten Währungskorbs basieren sollte. Die technische Markteintrittshürde wäre gering und durch ein schlichtes Update etwa von WhatsApp zu bewerkstelligen. Auf erhebliche Widerstände von Regierungen und Zentralbanken reagierte das Konsortium durch eine Namensänderung von Libra zu Diem, eine Sitzverlegung in die US-Hauptstadt, konzeptionelle Anpassungen und die Beschränkung (zunächst) auf den US-Markt.

Herausforderungen

Ein Einstieg der EZB in den digitalen Zahlungsverkehr mit einem eigenen Währungsprodukt wirft eine bunte Palette von Rechtsfragen auf. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Datenschutz. Auch deshalb könnte der digitale Euro als funktionelles Analogon zum Bargeld – eine Art E-Geld mit hoheitlichem Emittenten – entwickelt werden und damit unter anderem eine anonyme Zahlung ermöglichen. Das gegenläufige Interesse an der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ließe sich ebenfalls in Anlehnung an die Bargeldnutzung durch betragliche Obergrenzen für Einzeltransaktionen oder Kontenguthaben schützen. Bargeld ist nicht in seiner konkreten Erscheinungsform erhaltenswert, sondern lediglich in seinen Funktionen.

Ebenfalls noch klärungsbedürftig erscheint der zahlungsdiensterechtliche Rahmen für Zahlungen mit digitalem Zentralbankgeld. Die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie einschließlich ihrer deutschen Umsetzung fokussiert das Verhältnis zwischen (Geschäfts-)Bank – Kunde bzw. Zahlungsdienstleister – Zahlungsdienstnutzer. Digitales Zentralbankgeld unterfiele derzeit wohl auch nicht dem zahlungsdiensterechtlichen Geldbegriff, der auf Bargeld, Buchgeld und E-Geld beschränkt ist. Mit der anstehenden Dritten Zahlungsdiensterichtlinie müsste diese Lücke geschlossen werden.

Schließlich inkorporierte ein digitaler Euro auf Blockchain-Basis das weitgehende Regelungsvakuum im unionalen wie deutschen Privatrecht zu Blockchain-Token. Derzeit fehlt es an einer typologischen Erfassung ebenso wie an sachgerechten Übertragungs- und Verkehrsschutzregeln. Der digitale Euro darf nicht ohne privatrechtlichen Unterbau das Licht der Welt erblicken.

Ausblick

Die EZB reagiert im Vergleich zur chinesischen Zentralbank und zur Diem-Initiative spät; sie sollte nicht überdies auch noch zaghaft vorgehen. Die zweijährige Untersuchungsphase muss intensiv genutzt werden und dabei die komplexen Rechtsfragen unter Einschluss des (Unions-)Privatrechts ebenfalls in das Zentrum des Diskurses rücken. Ansonsten schreiben wieder außereuropäische Anbieter das nächste Kapitel in der Geschichte des Zahlungsverkehrs.

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur., ist Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung (Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht sowie Rechtsvergleichung) an der Philipps-Universität Marburg und Leiter des BMJV-Forschungsprojekts “Blockchain und Recht”. Omlor ist Mitherausgeber des im Bereich Fachmedien Recht und Wirtschaft der dfv Mediengruppe erscheinenden Handbuchs “Kryptowährungen und Token” sowie Mitherausgeber der Zeitschrift “Recht der Zahlungsdienste (RdZ) – Betriebs-Berater Geldverkehr”.

Omlor, BB 2021, Heft 33-34, Umschlagteil, I