Sustainable Finance zwischen Markt und Regulierung: Brauchen wir dafür weitere Institutionen?
Eine breit von der Praxis, der Wissenschaft und NGO getragene Institution würde für die Glaubwürdigkeit von Green Finance stehen und böte die Möglichkeit, dass bei ESG nicht allein der Umweltaspekt im Vordergrund steht.
Die Verhandlungsgruppen des künftigen Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und FDP können sich derzeit vor Ratschlägen, Hinweisen und Forderungen kaum retten. Im Zentrum steht, die künftige Regierungspolitik klar auf die Pariser Klimaziele und damit die Klimapolitik zu fokussieren. Dies ist eine Entwicklung, mit der die Finanzindustrie bereits seit einiger Zeit kalkuliert, weshalb die Environmental- Social- and Governance-(ESG-)Strategie für alle Institute und Institutionen im Augenblick erkennbar Priorität hat. Wie groß dabei mögliche Reputationsrisiken bei einer umstrittenen Nachhaltigkeits- bzw. Green-Finance-Strategie sein können, zeigt eindringlich der Einbruch des Aktienkurses der DWS nach Greenwashing-Vorwürfen im August dieses Jahres. Man kann davon ausgehen, dass viele andere Akteure dies genau beobachtet haben und ihre “Lessons Learned” mitnehmen werden. Doch nicht nur die Fondsindustrie, die aufgrund der aktuellen Entwicklungen besonders im Fokus steht, ist davon betroffen, sondern genauso jegliche Arten von Finanzierungen, M&A- und Private-Equity-Transaktionen und insoweit das gesamte Finanzgeschäft. Dabei ist jetzt schon absehbar, dass die öffentlich-rechtliche Säule des deutschen Banksystems mit Sparkassen, Landesbanken und Förderbanken/KfW ab dem Zeitpunkt der Bildung einer neuen Bundesregierung besonders stark an diesen Kriterien gemessen und ausgerichtet werden wird. Gut ist in diesem Zusammenhang nur, dass mit der EU-Taxonomie-Verordnung zum 1.1.2022 in der Union gleiche Rahmenbedingungen wenigstens hinsichtlich der Offenlegungspflichten zur Nachhaltigkeit von Finanzprodukten geschaffen werden. Dies ist ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, dass wir einen Gesetzgeber für alle 27 Mitgliedstaaten haben, der ein einheitliches Harmonisierungsniveau herstellen kann.
Doch wie soll das Thema Sustainable Finance in Zukunft institutionell in der Bundesregierung aufgehängt sein? Viel spricht dafür, dass es ein Klima- bzw. Nachhaltigkeitsministerium geben wird. Darüber hinaus müssen auch die anderen Stakeholder eingebunden werden, eine Aufgabe, die etwa der breit aufgestellte Sachverständigenrat für Umweltfragen, der allein aus Professoren besteht, nicht leisten kann. Ein Ausgangspunkt könnte der seit Juni 2019 bestehende Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung mit 38 Mitgliedern aus der Finanzwirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft/Non Governmental Organizations (NGO) sein. Dazu gehören die Deka, BNP Paribas, Deutsche Bank, DZ Bank, Deutsche Börse, BMW Group, Allianz AG, VHV Allgemeine Versicherung, das Frankfurt School UNEP Collaborating Centre, die Universität Hamburg, das DIW, WWF Deutschland und viele mehr. Aus diesem Kreis wurde jetzt der Vorschlag an die Verhandelnden herangetragen, dieses beratende Gremium in eine unabhängige Institution, einen durch den Bund finanzierten Think Tank mit möglicherweise weitergehenden Normierungskompetenzen, zu entwickeln. Dagegen wird man zunächst einwenden wollen, dass es bereits genügend Regulierungsplattformen gibt und gerade die Frage ihrer Unabhängigkeit – dies zeigen Diskussionen etwa bei der Bundesbank oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – immer wieder Anlass für Bedenken gibt. Doch auf der anderen Seite wird eine künftige Bundesregierung ganz sicher Klimapolitik und Klimaziele in ihren Mittelpunkt stellen, und gerade im Finanzsektor kommt dabei der Verständigung zwischen den Positionen von Liberalen und Grünen besondere Bedeutung zu. Angesichts der Orientierung des bestehenden Beirats auch an der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzstandorts Deutschland hat diese Lösung großen Charme und hoffentlich auch eine Realisierungschance. Denn zum einen würde eine solche breit von der Praxis, der Wissenschaft und NGO getragene Institution für die Glaubwürdigkeit von Green Finance stehen, auf der anderen Seite aber böte sie die Möglichkeit, durch entsprechende Arbeitsgruppen zu gewährleisten, dass bei ESG bzw. Nachhaltigkeit nicht der Gesichtspunkt Environment/Klima/Umwelt allein im Vordergrund steht. Die Diskussionen der letzten Zeit haben jedenfalls gezeigt: Social und Governance haben genauso ihre Bedeutung, auch wenn sie derzeit noch nicht derart prominent in der Öffentlichkeit angekommen sind. Dies dokumentieren eindringlich die 16 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die ganz klar den Querschnittscharakter von Nachhaltigkeit über das Klimaziel hinaus betonen.
Letztendlich steht die gesamte Finanzindustrie derzeit vor einer grundlegenden Entscheidung: Wer sich jetzt nicht glaubwürdig und transparent auf die ESG-Ziele ausrichtet, muss damit rechnen, dass er in Zukunft erhebliche Risiken – nicht nur bezüglich der Reputation, sondern insbesondere bei Risikovorsorge und der Bewertung – eingeht. Und ihre Kunden – allen voran der deutsche Mittelstand – müssen der Gefahr ins Auge sehen, nicht mehr “bankable” zu sein. Angesichts dieses Paradigmenwechsels hin zu einer sozialen und grünen Marktwirtschaft können wir eine Sustainable-Finance-Plattform – gerne auch als unabhängige Bundesbehörde oder Stiftung – gut gebrauchen. Was allerdings derzeit wohl eher schädlich wäre, sind neue Regulierungskompetenzen, diese sollten ggf. ausschließlich auf europäischer Ebene angesiedelt sein, um den mit der Taxonomie-Verordnung begonnenen Weg Richtung Harmonisierung, Vergleichbarkeit, Offenlegung und europäischer Kontrolle weiterzugehen.
Prof. Dr. Christoph Schalast, RA, Notar, ist Managing Partner der Kanzlei Schalast Rechtsanwälte Notare in Frankfurt a. M. An der Frankfurt School of Finance & Management leitet er die Master-Studiengänge M&A und Financial Law.
Schalast, BB 2021, Heft 46, Umschlagteil, I