EU-Parlament stimmt mit großer Mehrheit für einen globalen Mindestkörperschaftsteuersatz

EU-Parlament stimmt mit großer Mehrheit für einen globalen Mindestkörperschaftsteuersatz

Abbildung 1

Die Steuerrevolution nimmt Fahrt auf.

Das EU-Parlament hat mit 549 Ja-Stimmen, 70 Nein-Stimmen und 75 Enthaltungen den Bericht über die Besteuerung der digitalen Wirtschaft – OECD-Verhandlungen, Steuersitz digitaler Unternehmen und eine mögliche europäische Digitalsteuer (2021/2010(INI)) – der Berichterstatter Andreas Schwab und Martin Hlaváek des Ausschusses für Wirtschaft und Währung angenommen. In ihrem Bericht heben die Verfasser hervor, dass die internationalen Steuerregeln zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgelegt wurden und überarbeitet werden müssten. Sie seien zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ungeeignet. Die derzeitigen Besteuerungsregeln knüpften an die physische Präsenz von Unternehmen an. Die Digitalisierung habe aber dazu geführt, dass Unternehmen unabhängig von ihrer physischen Präsenz in Ländern Geschäftstätigkeiten ausüben könnten, ohne dort Steuern zu zahlen. Insoweit sei eine Diskrepanz zwischen den geschaffenen Werten und den Gewinnen festzustellen, die dazu führt, dass in den Ländern, in denen der Gewinn erwirtschaftet wird, mangels physischer Präsenz keine oder nur geringe Steuern gezahlt werden.

Der Bericht fordert zudem die Überarbeitung des traditionellen Konzepts der Betriebsstätte und fordert eine neue und gerechtere Aufteilung der Besteuerungsrechte für in hohem Maße digitalisierte multinationale Unternehmen. Das derzeitige Betriebsstättenkonzept erfasse nicht die digitalisierte Wirtschaft. Die Besteuerung müsse der inhärenten Mobilität hochgradig digitalisierter multinationaler Unternehmen Rechnung tragen. Dies führe dazu, dass in Bezug auf die Wertschöpfung eine gerechte Aufteilung der Besteuerungsrechte auf alle Länder, in denen sie wirtschaftlich tätig sind und Wertschöpfung erzielen, auch durch Forschung und Entwicklung, gesorgt werden müsse.

Der Bericht greift den Standpunkt des Parlaments zur Kommission für eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage G(K)KB bezüglich der Einführung einer virtuellen Betriebsstätte auf. Nach diesem Konzept folgt die Besteuerung der Wertschöpfung. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Nutzer von Online-Plattformen und die Verbraucher digitaler Dienste heute im Mittelpunkt der Wertschöpfung von hochgradig digitalisierten Unternehmen stünden und nicht in gleicher Weise aus einem Land weg verlagert werden könnten wie Kapital und Arbeit. Daher sei die Definition eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunkts notwendig, auch um eine wirksame Abhilfe gegen aggressive Steuerplanung und Steuervermeidung zu schaffen.

Der Bericht und somit das EU-Parlament teilen die Befürchtung, dass gezielte Vorschriften, die nur für bestimmte Unternehmen konzipiert werden, zu neuen Problemen führten, ohne die derzeitigen zu lösen. Ebenso müsste die Verrechnungspreissystematik, die Definition von Betriebsstätten und Steuerlücken, die aus übermäßig komplexen Steuersystemen resultieren, einer Überprüfung unterzogen werden, insbesondere im Hinblick auf Doppelbesteuerungsabkommen.

Der Bericht sieht allerdings auch die Notwendigkeit, die steuerliche Gesamtbelastung der verschiedenen Geschäftsmodelle durch weitere Studien zu untersuchen und verweist dabei darauf, dass digitale Unternehmen im Durchschnitt mit einem effektiven Steuersatz von lediglich 9,5 % belastet werden, Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen dagegen mit einem effektiven Steuersatz von 23,2 %.

Ein weltweites multilaterales Abkommen ist dabei die bevorzugte, nicht aber die einzige Option für die weitere Vorgehensweise. Zu favorisieren seien die Bemühungen innerhalb des inklusiven Rahmens der G20 und der OECD, einen weltweiten Konsens über eine multilaterale Reform des internationalen Steuersystems zu erzielen, um dem Problem der fortgesetzten Gewinnverlagerung und den Herausforderungen der digitalisierten Wirtschaft zu begegnen. Stellt aber zugleich das Bedauern heraus, dass die für Ende 2020 festgelegte Frist ergebnislos verstrichen ist. Verlangt wird eine rasche Einigung in einem inklusiven Verhandlungsprozess bis Mitte 2021 ebenso wie ein effektiver Mindeststeuersatz in fairer und ausreichender Höhe, der geeignet ist, Gewinnverlagerungen zu verhindern und schädlichem Steuerwettbewerb vorzubeugen. Die Abgeordneten schließen sich dem Vorschlag der USA für einen globalen Körperschaftsteuersatz von 21 % an.

Die EU solle ferner einen “Notfallplan” für den Fall entwickeln, dass die Verhandlungen auf OECD-Ebene ins Stocken gerieten oder gar scheiterten. Im Rahmen der OECD verpflichten sich die teilnehmenden Länder, bis Juli 2021 zu einer Übereinkunft zu gelangen. Der Europaabgeordnete Hlaváek erklärte, dass “große digitale Akteure keinen unfairen Vorteil gegenüber KMU haben dürfen. Wir haben eine moralische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass digitale multinationale Unternehmen ihren fairen Beitrag leisten. Genauso wie alle anderen Unternehmen und Bürger auch.”

Darüber hinaus könne nur eine einfache und praktikable Lösung, statt eines komplexen Systems dazu führen, dass die neu vereinbarten Regeln nicht gleich wieder umgangen werden. Daher sei der Komplexität in den Verhandlungen besonderes Augenmerk zu schenken, auch um den Umsetzungsaufwand für die Mitgliedstaaten zu verringern und vereinfachte Verwaltungsverfahren für multinationale Unternehmen zu schaffen. Angemessen wäre auch die Überarbeitung des Fremdvergleichsgrundsatzes.

So wichtig das Anliegen der Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist, so skeptisch bleibt der Leser des Berichts zurück: Eine einfache praktikable Lösung, die mit dem bisherigen Betriebsstättenprinzip bricht, den Fremdvergleichsgrundsatz überarbeitet, offen ist wie, die Besteuerung anhand der Wertschöpfungskette bemisst und zu vereinfachten Verwaltungsverfahren führt, liest sich wie die Quadratur des Kreises. Möge das Vorhaben gelingen!

Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater.

Stahlschmidt, BB 2021, Heft 21, Umschlagteil, I