Präsidentenstellen an den obersten Bundesgerichten: Bestenauslese oder Beute der Politik?

Präsidentenstellen an den obersten Bundesgerichten: Bestenauslese oder Beute der Politik?

Abbildung 1

Der Gesetzgeber sollte im GVG regeln, dass Vorsitzender Richter und somit auch Vizepräsident und Präsident eines Bundesgerichts nur werden kann, wer an diesem Gericht mindestens fünf Jahre als Richter tätig gewesen ist.

Die Ämter des Präsidenten und Vizepräsidenten des BFH sind aktuell nicht besetzt und die kommissarische Leitung des Gerichts wird von dem dienstältesten Vorsitzenden Richter wahrgenommen (https://www.bundesfinanzhof.de/de/gericht/organisation/praesident-und-vizepraesidentin/, Abruf: 3.1.2022). Wenn Ihnen das jetzt bekannt vorkommt, spricht das für Ihr gutes Gedächtnis. Wir hatten diesen Befund schon mehrfach behandelt (z. B. Schmittmann, BB 17/2021, “Die Erste Seite”; Stahlschmidt, BB 2021, 661; Stahlschmidt, BB 2021, 2517). Sie blättern also nicht versehentlich in einem alten Heft. Der Zustand ist nach wie vor unverändert. Aber es ist vielleicht Abhilfe in Sicht.

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP “Mehr Fortschritt wagen: Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit” (S. 106) lesen wir: “Wir reformieren die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten unter den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt.”

Bevor sich der Gesetzgeber an die Ausgestaltung dieses Ziels macht, sollte er einen Blick ins Grundgesetz werfen: Jeder Deutsche hat nach Art. 33 Abs. 2 GG nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichem Amte. Diese Regelung hat sowohl eine grundrechtsgleiche als auch eine staatsorganisationsrechtliche Komponente (BVerfG, Beschl.v.19.9.1989 – 2 BvR 1576/88, NJW 1990, 501).

Beim BFH ist seit 1. August 2020 die Stelle des Präsidenten vakant, nachdem Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff in den Ruhestand getreten ist. Nachdem seine Stellvertreterin, Christine Meßbacher-Hönsch, pensioniert wurde, ist mit Ablauf des 31. Oktober 2020 auch der Stuhl des Vizepräsidenten unbesetzt (vgl. Stahlschmidt, BB 2020, 2517). Im März 2021 schien das Ende der präsidialen Sedisvakanz greifbar. Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hatte Dr. Hans-Josef Thesling zum Präsidenten des BFH berufen und die Ernennungsurkunde unterzeichnet (https://www.wiwo.de/politik/deutschland/hans-josef-thesling-cdu-mann-wird-neuer-praesident-des-bundesfinanzhofes/27030676.html, Abruf: 3.1.2022). Wirksam wird die Ernennung freilich erst mit Übergabe der Urkunde durch den Minister. Ausgehändigt ist – bei Abfassung dieses Beitrags – die Ernennungsurkunde nicht.

Dr. Hans-Josef Thesling ist derzeit im Justizministerium Nordrhein-Westfalen tätig; zuvor war er Präsident des Finanzgerichts Düsseldorf. Die derzeitige Präsidentin des Saarländischen Finanzgerichts und ehemalige Staatssekretärin Anke Morsch soll Vizepräsidentin des BFH werden (https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/morsch_wechsel_bundesfinanzhof_muenchen_100.html, Abruf: 3.1.2022). Beiden Ernennungen stand allerdings entgegen, dass das zwischen dem Bundesjustizministerium und den Bundesgerichten vereinbarte Anforderungsprofil vorsah, dass an einem obersten Bundesgericht nur Vorsitzender Richter werden kann, wer an diesem Gericht mehrere Jahre tätig gewesen ist. Diese Voraussetzung war weder bei Thesling noch bei Morsch gegeben, so dass die damalige Bundesjustizministerin diese Richtlinie im Sommer 2020 schlicht außer Kraft setzte (https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/richtermangel-am-bfh-nach-querelen-mit-justizministerium, Abruf: 3.1.2022).

Die erwartungsgemäß erhobenen Konkurrentenklagen wurden inzwischen vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen (https://www.lto.de/recht/justiz/j/bfh-ernennung-thesling-vgh-muenchen-weist-konkurrentenklage-ab/, Abruf: 3.1.2022).

Auf Dr. Marco Buschmann, den neuen Bundesminister der Justiz, kommt viel Arbeit zu. Ihm obliegt es nun, dafür zu sorgen, dass die Stellen des Präsidenten und des Vizepräsidenten des BFH mit tauglichem Personal besetzt werden.

Wie sieht es aber bei den anderen obersten Gerichten des Bundes aus? Die Stelle des Präsidenten beim BAG ist seit 1. Oktober 2021 unbesetzt. Für die Besetzung ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend. Die bisherige Präsidentin, Ingrid Schmidt, ist zum 30. September 2021 in den Ruhestand getreten, ohne dass ein neuer Präsident ernannt wurde. In der Übergangszeit wird das Gericht durch den Vizepräsidenten Rüdiger Linck geführt. Der bisherige Präsident des BVerwG, Prof. Dr. Klaus Rennert, ist am 30. Juni 2021 in den Ruhestand getreten, ohne dass ein Nachfolger ernannt worden ist. Die Amtsgeschäfte hat bis auf Weiteres Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Korbmacher übernommen. Hier gab es Streit um die Qualifikation des von der CDU in Aussicht genommenen Nachfolgers, weil dieser bislang keine Erfahrung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte und der Präsidialrat des BVerwG drohte, ihn bei der Wahl durchfallen zu lassen (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fuehrungsstellen-an-zwei-bundesgerichten-bleiben-vakant-a-f5d4da09-8d37-4f4a-86bd-f876564578b3, Abruf: 3.1.2022).

Die Koalitionäre haben sich auf die Fahnen geschrieben, die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richter an den obersten Bundesgerichten zu reformieren. Dies sollte nicht mehr durch Richtlinien erfolgen, sondern durch eine gesetzliche Regelung. In § 22 Abs. 6 GVG heißt es z. B., dass ein Richter auf Probe im ersten Jahr seiner Ernennung Geschäfte in Insolvenz- und Restrukturierungssachen nicht wahrnehmen darf. Zudem ist vorgesehen, dass Richter in Insolvenz- und Restrukturierungssachen über belegbare Kenntnisse auf dem Gebiet des Insolvenzrechts, des Restrukturierungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen sollen oder zumindest der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist. Was hindert den Gesetzgeber, endlich eine Regelung zu schaffen, nach der Vorsitzender Richter an einem obersten Bundesgericht nur werden kann, wer an diesem Gericht mindestens fünf Jahre als Richter tätig gewesen ist?

Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.

Schmittmann, BB 2022, Heft 01-02, Umschlagteil, I