Die Reform des Stiftungsrechts
Obgleich das reformierte Stiftungszivilrecht erst am 1. Juli 2023 in Kraft tritt, hat es praktisch bereits Auswirkungen auf aktuelle Stiftungsgründungen und auf bestehende Stiftungen.
Am 1. Juli 2023 tritt ein bundesweit vereinheitlichtes Stiftungszivilrecht in Kraft. Der Weg von der Beschlussfassung der ständigen Innenministerkonferenz im Juni 2014, das Stiftungsrecht ergebnisoffen zu prüfen und notwendigenfalls zu modernisieren, hin zur Verkündung des “Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts” im Juli 2021 war geprägt von teils heftigen fachlichen Kontroversen, im Übrigen aber auch von langen Phasen des Stillstandes.
Ob sich das Ergebnis sehen lassen kann, hängt von der jeweiligen Erwartungshaltung ab: wer sich von der Reform des Stiftungsrechts Antworten auf große gesellschaftspolitische Fragen erhoffte – etwa nach der Rolle der Stiftung in der modernen Zivilgesellschaft – oder wer eigentlich ein ganz anderes, liberaleres und weniger durch den Gedanken der Staatsaufsicht geprägtes Stiftungsrecht wollte, wurde enttäuscht.
Wer gehofft hat, dass die Reform jedenfalls einige bislang bestehende Unklarheiten und Unzulänglichkeiten des Stiftungsrechts beseitigt, wird das Ergebnis akzeptieren können: Zunächst besteht eine wesentliche Leistung des reformierten Stiftungsrechts darin, dass es das Stiftungszivilrecht vereinheitlicht – denn bislang ist es über das BGB und die in den einzelnen Bundesländern bestehenden Landesstiftungsgesetze verteilt. Beispielsweise sind im BGB nun ausdrückliche Regeln dazu enthalten, unter welchen Voraussetzungen die Satzung einer Stiftung verändert werden kann. Als Reaktion auf die Niedrigzinsphase und die große Zahl nicht lebensfähiger Stiftungen hat der Gesetzgeber die Umwandlung von Ewigkeitsstiftungen in Verbrauchsstiftungen, die Zu- und Zusammenlegung und auch die Beendigung von Stiftungen ausführlicher geregelt, und dabei tendenziell etwas erleichtert. Grundsätzlich zu begrüßen ist es auch, wenn die explizite Einführung der Business Judgement Rule im Stiftungsrecht stärker betonen will, wie weit der haftungsfreie Ermessensspielraum der Stiftungsorgane geht. Die vom Gesetzgeber zunächst beabsichtigte Einführung eines Surrogationsprinzips im Rahmen der Regeln zur Vermögensverwaltung, wonach Umschichtungsgewinne grundsätzlich zum Bestandteil des Grundstockvermögens geworden wären, hätte dem Anliegen der Reform, Stiftungen in der Niedrigzinsphase zu unterstützen, diametral widersprochen. Dies konnte auf den letzten Metern des Reformprozesses durch massive Kritik aus Wissenschaft und Praxis verhindert werden. Die nunmehr gefundene Regelung, wonach Umschichtungsgewinne grundsätzlich für den Stiftungszweck verwandt werden dürfen, ist gut, da sie eine bessere Erfüllung der Stiftungszwecke begünstigt. Auch andere bisher nicht geregelte und daher potentiell streitige stiftungsrechtliche Fragen hat die Stiftungsrechtsreform beantwortet, wie etwa diejenige, ob die persönliche Haftung hauptamtlicher Stiftungsvorstände durch eine Satzungsbestimmung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden darf und – gewissermaßen umgekehrt – ob ehrenamtliche Stiftungsvorstände aufgrund einer Satzungsbestimmung schlechter gestellt werden dürfen, als es die gesetzliche Haftungsprivilegierung des § 31a BGB vorsieht.
Positiv zu bewerten ist auch die in § 85 Abs. 4 BGB n. F. enthaltene Klarstellung, dass die BGB-Regeln zu den Voraussetzungen von Satzungsänderungen insofern dispositiv sind, als ein Stifter bzw. eine Stifterin bei Stiftungsgründung individuell festlegen kann, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Reichweite nachträgliche Satzungsänderungen durch die Stiftungsorgane beschlossen werden können. Diese Regelung kann eine gegenwartsbezogene Weiterentwicklung von Stiftungen ermöglichen, stellt aber auch höhere Anforderungen an eine möglichst kluge und weitsichtige Satzungsgestaltung.
Das reformierte Stiftungszivilrecht tritt zwar erst am 1. Juli 2023 in Kraft, praktisch hat es aber bereits Auswirkungen auf aktuelle Stiftungsgründungen und auf bestehende Stiftungen. Denn in weiten Teilen hat es klarstellende Funktion in Bezug auf bestehende stiftungsrechtliche Meinungsstreite, und wird de facto schon jetzt für Stiftungsaufsichtsbehörden und andere Rechtsanwender handlungsleitend sein. Es wird auch Anlass für viele Stiftungen sein, ihre geltende Satzung zu überprüfen und erforderlichenfalls mit Blick auf das reformierte Stiftungsrecht zu überarbeiten.
Etwas später, am 1. Januar 2026, wird neben den Veränderungen im BGB noch eine weitere Neuerung in Kraft treten: die Einführung eines amtlichen Stiftungsregisters mit Publizitätswirkung, vergleichbar dem Vereinsregister und Handelsregister. Dies ist sehr zu begrüßen, löst das Stiftungsregister doch einige administrative Schwierigkeiten für Stiftungsvorstände und verhilft es dem Stiftungssektor zu mehr Rechtssicherheit. Allerdings scheint es so, als habe der Gesetzgeber den damit verbundenen Paradigmenwechsel in der Eile nicht recht erkannt: Während Stiftungen bislang weitgehend intransparent waren, soll zukünftig jedermann ohne konkreten Anlass die Satzungen aller Stiftungen online einsehen können. Da manche Satzungen – insbesondere der nicht gemeinnützigen Familienstiftungen – durchaus private und vertrauliche Daten enthalten können, wird in den nächsten Jahren noch zu diskutieren sein, wie an dieser Stelle ein guter Ausgleich zwischen dem berechtigten Verlangen nach mehr Transparenz im Stiftungssektor und den Persönlichkeitsrechten von Stifterinnen und Stiftern gelingt.
Prof. Dr. jur. Stefan Stolte, RA, ist Mitglied der Geschäftsleitung des DSZ – Deutschen Stiftungszentrums, Essen, und leitet dort den Bereich Stiftungsmanagement. Daneben ist er Gesellschafter der DSZ-Rechtsanwaltsgesellschaft mit Tätigkeitsschwerpunkten im Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht.
BB 2021, Heft 43, Umschlagteil, I