Gerechte Steuerpolitik und Steuergerechtigkeit
Vorsicht ist geboten, wenn in der politischen Diskussion der Begriff Steuergerechtigkeit fällt!
Die Bundestagswahl zum 20. Deutschen Bundestag ist vorbei. Der Wahlkampf Geschichte. Neben den verschiedenen Themen, vor allem Klima, war auch ein Begriff in den verschiedenen TV-Formaten und Interviews bei fast allen Politikern in Verwendung, nämlich der Begriff “Steuergerechtigkeit”. Die einen nennen es “Gerechte Steuern & Umverteilung”, DIE LINKE, die anderen “gerechte Steuerpolitik – wir verteilen den Wohlstand gerechter”, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wieder andere “Die Besteuerung von Einkommen werden wir gerechter gestalten”, SPD. Bei der CDU ist im Wahlprogramm von “fairen Steuern und Abgaben” zu lesen, während die FDP die Begrifflichkeit nicht verwendet.
Aber was ist “Steuergerechtigkeit”? Aus Sicht der Steuerrechtswissenschaft leitet sich der Begriff aus Art. 3 Abs. 1 GG ab und bedeutet, dass Steuergerechtigkeit eine gleichmäßige, gesetzesmäßige und am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Besteuerung erfordert. Insoweit wird unterschieden in die “horizontale Steuergerechtigkeit”, d. h. die Gleichbehandlung aller Bürger mit gleicher Leistungsfähigkeit (BVerfG v. 14.6.1994 – 1 BvR 1022/88, BStBl. II 1994, 909) und “vertikale Steuergerechtigkeit”, d. h. unterschiedliche Leistungsfähigkeit ist unterschiedlich zu besteuern, also die Steuerbelastung höherer Einkommen ist im Vergleich zu niedrigen Einkommen angemessen auszugestalten (BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BStBl. II 2003, 534 und 636). Für die Verbrauchsteuern liegt die steuerliche Leistungsfähigkeit in der Verwendung von Einkommen und Vermögen durch den Konsumenten. Die indirekten Steuern nehmen nicht die Individualität des Verbrauchers in den Blick, sondern der Konsument bleibt in der Anonymität des Marktes, weil sich die Belastungsentscheidung nach dem besteuerten Gut und nicht nach dem Verbraucher richtet (BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 1748/99 und 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274, 297). Damit steht fest, dass sowohl bei den direkten als auch bei den indirekten Steuern das Leistungsfähigkeitsprinzip und damit auch “Gerechtigkeitserwägungen” zum Tragen kommen.
Die kassenmäßigen Steuereinnahmen 2020 betrugen 739 Mrd. Euro. Davon entfielen auf: die veranlagte Einkommensteuer 58 Mrd. Euro, die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag 21 Mrd. Euro, die Abgeltungssteuer 6 Mrd. Euro, die Körperschaftsteuer 24 Mrd. Euro, die Lohnsteuer 209 Mrd. Euro, die Umsatzsteuer 168 Mrd. Euro, die Einfuhrumsatzsteuer 50 Mrd. Euro, die Gewerbesteuer 45 Mrd. Euro, die Grundsteuer 16 Mrd. Euro, die Erbschafsteuer 8 Mrd. Euro und die übrigen Verbrauchsteuern 134 Mrd. Euro. Damit zeigt sich, dass die direkten Steuern mit 387 Mrd. Euro und die indirekten Steuern mit 352 Mrd. Euro zum Steuergesamtaufkommen beitragen. Damit nähert sich die Finanzierung des Bundeshaushaltes der Quote von 50 % durch indirekte Steuern. Durch die Einführung der CO2-Steuer wird das Verhältnis noch einmal maßgeblich beeinflusst.
Werden die Aussagen der Parteien im Hinblick auf Steuergerechtigkeit untersucht, fällt auf, dass es eine verengte Sicht auf die direkten Steuern, ja primär auf die Einkommensteuer/Körperschaftsteuer gibt. Die indirekten Steuern, d. h. Verbrauchsteuern, spielen in der Betrachtung überhaupt keine Rolle. Damit ist schon einmal der Finanzierungsanteil von fast 50 % des Bundeshaushaltes aus dem politischen Sichtfeld verschwunden.
Dies verwundert, weil die Belastung mit Verbrauchsteuern nur eine Richtung kennt, nämlich nach oben. So betrug der durchschnittliche Strompreis für einen repräsentativen Haushalt am 1.1.1999 in Deutschland 28,99 Pfennig/kWh = 14,82 Eurocent/kWh, im Jahr 2020 lag dieser bereits bei 30,91 Eurocent/kWh. Mithin eine Verdoppelung in 20 Jahren. Vor der Einführung der sog. 1. Stufe der Ökosteuer lag der Preis für Normalbenzin bei 84,1 Eurocent pro Liter. Der derzeitige Preis liegt bei 1,52 Euro je Liter. Dieser wird durch die CO2-Steuer im nächsten Jahr noch einmal um 70 Eurocent steigen, so dass ein Preis von 2,22 Euro je Liter zu erwarten ist. Die älteren unter den Lesern werden sich noch an einen Song aus der Neuen Deutschen Welle erinnern, in dem es hieß “. . . und kost’ Benzin auch Drei Mark Zehn, Scheiß egal, es wird schon geh’n . . .” (Markus, 1982, “Ich will Spaß”). Da die Steuerbürger nur wenig Möglichkeiten haben, sich dieser Steuern zu entziehen, wäre es sicherlich geboten, auch die indirekten Steuern in den politischen Steuergerechtigkeitsbegriff aufzunehmen.
Aber auch der Blick auf den politischen Steuergerechtigkeitsbegriff im Hinblick auf die direkten Steuern zeigt eine verengte Sicht. In keinem Parteiprogramm zur Bundestagswahl findet die Steuerprogression, die ansonsten immer kritisiert wird, Erwähnung. Keine der Parteien erwägt, die Grenze, ab der der Grenzsteuersatz von 42 % greift, 55 691 Euro (Ledige) zu versteuerndes Einkommen, hinauszuschieben, um die sog. kalte Progression abzumildern. Zu groß ist die Angst vor dem Verlust von Einnahmen. Im Übrigen: 1996 lag die Grenze, ab der der Grenzsteuersatz konstant blieb, noch bei 61 375 Euro.
Festzuhalten bleibt, dass die Verwendung des Begriffs Steuergerechtigkeit im politischen Betrieb nicht kompatibel ist mit dem juristischen Begriff der Steuergerechtigkeit. Die Politik versteht darunter das Generieren von zusätzlichen Einnahmen, während beim juristischen Steuergerechtigkeitsbegriff die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht. Vorsicht ist daher geboten, wenn in der politischen Diskussion der Begriff Steuergerechtigkeit fällt!
Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater.
Stahlschmidt, BB 2021, Heft 40, Umschlagteil, I