Globale Mindeststeuer – Jubel verfrüht?
Globale Mindeststeuer – mindestens fünf Problembereiche warten auf eine Lösung.
Die historische Steuereinigung von 131 Staaten wurde von den Finanzministern der G-20-Staaten in Venedig bejubelt. Groß fiel und fällt der Jubel des deutschen Finanzministers Olaf Scholz aus. Aus Sicht des BMF ist die “Einigung auf die globale Mindestbesteuerung ein kolossaler Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit”. So werden multinationale Konzerne mit mehr als 750 Mio. Euro Umsatz pro Jahr, der Geschäftszweck spielt keine Rolle, mit einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent effektiv besteuert. Dabei sei es unerheblich, wo die Gewinne entstünden. Als Beispiel führt das BMF an: “Ein international tätiger Konzern hat eine oder mehrere Tochtergesellschaften in einer Steueroase. Er verlagert möglichst viele der Gewinne rechnerisch dorthin, weil in dem Land z. B. nur 5 Prozent Steuern erhoben werden. Hier greift die neue Regel der Säule II, die globale effektive Mindeststeuer. Denn nun kann der Staat, in dem die Muttergesellschaft des Konzerns ihren Sitz hat, die Gewinne aus dieser Steueroase nachversteuern. Bei einem globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent könnte der Staat also auf die verlagerten Gewinne 10 Prozent Unternehmenssteuern von dem Konzern verlangen. Damit wird sichergestellt, dass die Gewinne im Ergebnis einer effektiven Besteuerung in Höhe von 15 Prozent unterliegen: 5 Prozent in der Steueroase, 10 Prozent im Sitzland des Konzerns. Damit lohnt es sich für internationale Konzerne nicht mehr, aus rein steuerlichen Gründen Tochtergesellschaften zu nutzen.” Sollte es tatsächlich so einfach sein? Zweifel sind angebracht.
Mindestens fünf Problemkreise lassen sich aufzeigen:
Die Umsetzung
Bisher umfasst die Einigung lediglich Eckpunkte. Die Einzelheiten sollen frühestens im Oktober feststehen. Das wäre bei der Komplexität des Themas eine Sensation. Denn die Frage ist, wie sich die bisherigen Zuordnungsprinzipien im internationalen Steuerrecht im Konzept der Mindestbesteuerung wiederfinden werden. Ferner ist auch unklar, welcher Staat zu den Gewinnern und welcher Staat zu den Verlierern der Mindeststeuer gehören wird. Dabei sind die praktischen Umsetzungsproblematiken noch nicht einmal skizziert. Wird die exportorientierte Nation Deutschland ihr Besteuerungssubstrat verlieren? Wie stellt Deutschland sicher, am internationalen Körperschaftsteueraufkommen zu profitieren? Wie hoch werden administrative und fiskalische Kosten sein? Wer prüft die umsatzbasierte Gewinnaufteilung und in welcher Weise wird geprüft? Nach welchem Steuerregime wird der Umsatz ermittelt? Wie wird der Gewinn definiert? Die Schweizer Regierung weist darauf hin, dass die zentrale Frage der Definition der Bemessungsgrundlage weiter ungeklärt sei.
Die Gestaltungsspielräume
In der Tat dürfte dies eine der größten Hürden bei der Umsetzung des Reformvorhabens sein. Bekanntermaßen ist innerhalb der EU der Plan für einheitliche Vorschriften zur steuerlichen Gewinnermittlung bisher krachend gescheitert! Der Rückgriff auf die internationalen Regeln der Rechnungslegung wird wegen der steuerlichen Gewinnermittlungsbesonderheiten ausscheiden. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Nationalstaaten das Steuerrecht gezielt für Förderung von Forschung und Entwicklung und sonstigen Erwägungen, denken wir nur an das Gemeinnützigkeitsrecht, einsetzen. Was geschieht, wenn derartige Regelungen die Nachversteuerung auslösen? Damit wären steuerliche Wirtschaftsförderungselemente möglicherweise nicht mehr wirksam oder einsetzbar. Was wird aus den Patentboxen? Wie vertragen sich diese mit dem Konzept der Mindeststeuer?
Uneinigkeit in der EU
Die Grundproblematik ist aber, dass sich die EU-Staaten nicht einig sind. Da innerhalb der EU bei den direkten Steuern das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, kommt es auch auf die kleinen Staaten an. Irland gehört zu den größten Skeptikern innerhalb der EU. Dies ist nicht sonderlich verwunderlich, da Irland kaum Interesse an der Umverteilung von Steuereinnahmen nach dem Umsatzprinzip haben kann. Estland stellt sich eine Ausnahme für einbehaltene Gewinne vor. Auch außerhalb der EU gibt es Ausnahmewünsche wie z. B. Ausnahmen für die Finanzindustrie von Großbritannien.
Verteilung des Geldes
Die OECD hat berechnet, dass durch die weltweite Einführung der Mindeststeuer das globale Körperschaftsteueraufkommen jährlich um bis zu 100 Mrd. Dollar gesteigert werden könne. Ferner könnten weitere 100 Mrd. Dollar durch die Pläne einer faireren Verteilung der Besteuerung erzielt werden. Der politische Reflex bei diesen Summen kann nicht ausbleiben! Ob Deutschland tatsächlich profitiert?
Zustimmung der USA
Die US-Regierung unter Joe Biden hat dem Kompromiss zugestimmt. Die Frage wird aber sein, ob er die Republikaner im Kongress von der Mindeststeuer überzeugen kann und ob diese einer globalen Umverteilung von Einnahmen positiv gegenüberstehen. So äußerte die US-Finanzministerin kürzlich in einem Interview mit dem US TV-Sender CNBC, dass sie nicht sicher sei, ob Amazon den globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent wird zahlen müssen, da es nun einmal davon abhänge, ob “die Firma die Rentabilitätsschwelle erreicht oder nicht”. Optimismus sieht anders aus!
Es wirkt illusorisch, dass die erzielte Einigung nicht zu neuen Steuervermeidungsüberlegungen und -gestaltungen führen wird. Dies liegt an einer Grunddivergenz, die nicht in Einklang gebracht werden kann: Aus Sicht der Politik dienen Steuern der Finanzierung des Staatswesens, während aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre Steuern Kosten darstellen und betriebswirtschaftliche Entscheidungsmodelle unter Steuereinschluss untersucht werden.
Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater.
Stahlschmidt, BB 2021, Heft 32, Umschlagteil, I