Wann endet die präsidiale Sedisvakanz beim BFH?
Wer aktuell (Datum: 20.4.2021) die Internetpräsenz des BFH betrachtet, findet dort den organisatorischen Hinweis, dass die Ämter des Präsidenten und des Vizepräsidenten des BFH nicht besetzt sind und die kommissarische Leitung des Gerichts von dem dienstältesten Vorsitzenden Richter wahrgenommen wird (https://www.bundesfinanzhof.de/de/gericht/organisation/praesident-und-vizepraesidentin/, Abruf: 20.4.2021)
Wer dann einen Blick in den Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 2021 wirft, stellt fest, dass es auch bei den Vorsitzenden Richtern der jeweiligen Senate Vakanzen gibt. Obgleich der BFH insgesamt über elf Senate verfügt, gibt es lediglich sieben Vorsitzende Richter, was an sich schon eine Besonderheit ist und zu erheblichen Mehrbelastungen der übrigen Richter des Gerichts führt. Gleichwohl stellen sich die Erledigungszahlen sehr positiv dar. Der Jahresbericht des BFH, der vom Vorsitzenden Richter Michael Wendt am 18.2.2021 als dienstältestem Vorsitzenden Richter unterzeichnet worden ist, zeigt, dass die elf Senate des BFH im Jahre 2020 insgesamt 2122 Verfahren erledigt haben, denen 1995 eingegangene Fälle gegenüberstehen. Damit hat sich der Bestand an unerledigten Verfahren am Ende des Jahres 2020 auf lediglich noch 1603 Fälle vermindert (https://www.bundesfinanzhof.de/fileadmin/media/pdf/jahresberichte/Jahresbericht_2020.pdf, Abruf: 20.4.2021). Zugleich findet Wendt aber auch deutliche Worte zur aktuellen Lage: “Das Gericht sah sich im Jahr 2020 auch mit einer Personalsituation an seiner Spitze konfrontiert, die es so noch nie gegeben hat und nicht geben dürfte.”
Die präsidiale Sedisvakanz könnte in Kürze ihr Ende finden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im März 2021 Dr. Hans-Josef Thesling zum Präsidenten des BFH berufen und die Ernennungsurkunde unterzeichnet (https://www.wiwo.de/politik/deutschland/hans-josef-thesling-cdu-mann-wird-neuer-praesident-des-bundesfinanzhofes/27030676.html, Abruf: 20.4.2021). Wirksam wird die Ernennung freilich erst mit Übergabe der Urkunde durch die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. Ausgehändigt ist – bei Abfassung dieses Editorials – die Ernennungsurkunde nicht. Schon bis zur Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten war es ein langer Weg. Anfang Oktober 2020 wählte der Richterwahlausschuss in Berlin eine Richterin und drei Richter als Nachfolger der pensionierten Stelleninhaber beim Bundesfinanzhof. Der bisherige Präsident Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff war im Sommer 2020 in den Ruhestand getreten; seine Stellvertreterin Christine Meßbacher-Hönsch im Herbst 2020 (vgl. Stahlschmidt, BB 2020, 2517). Schon damals wurde klar, dass Thesling Nachfolger von Mellinghoff als Präsident des BFH werden soll. Er war bislang im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen tätig sowie zuvor Präsident des Finanzgerichts Düsseldorf. Die derzeitige Präsidentin des Saarländischen Finanzgerichts und ehemalige Staatssekretärin Anke Morsch soll Vizepräsidentin des BFH werden (https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/morsch_wechsel_bundesfinanzhof_muenchen_100.html, Abruf: 20.4.2021). Dem stand allerdings entgegen, dass das zwischen dem Bundesjustizministerium und den Bundesgerichten vereinbarte Anforderungsprofil vorsah, dass an einem obersten Bundesgericht nur Vorsitzender Richter werden kann, wer an diesem Gericht mehrere Jahre tätig gewesen ist. Diese Voraussetzung war weder bei Hans-Josef Thesling noch bei Anke Morsch gegeben, so dass die Bundesjustizministerin sich entschloss, diese Richtlinie im Sommer 2020 schlicht außer Kraft zu setzen (https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/richtermangel-am-bfh-nach-querelen-mit-justizministerium, Abruf: 20.4.2021).
Innerhalb des BFH war hinsichtlich der unbesetzten Stellen bereits Kritik laut geworden. “Dies führt selbstverständlich zu teilweisen erheblichen Mehrbelastungen”, sagt Prof. Dr. Matthias Loose, der stellvertretende Vorsitzende des Richtervereins am BFH. “Alle Kolleginnen und Kollegen sind im Interesse der Rechtssuchenden nach Kräften bemüht, die zusätzlichen Mehrbelastungen zu schultern.” Die Besetzung der Stelle des Vizepräsidenten des BFH ist derzeit noch offen. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass beim Verwaltungsgericht München Konkurrentenklagen anderer Richter des BFH anhängig sind (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesfinanzhof-103.html, Abruf: 20.4.2021), so dass auch die Aushändigung der Ernennungsurkunde an Anke Morsch wohl noch länger auf sich warten lässt. Die Justiz steht in den nächsten Jahren vor einer umfassenden Pensionierungswelle. Nachwuchs fehlt häufig. Unabhängig, worin die Gründe für junge Assessoren liegen, sich gegen eine Laufbahn als Richter oder Staatsanwalt zu entscheiden, sondern in Kanzleien und Unternehmen zu gehen, so trägt jedenfalls die aktuelle Stellenvergabe beim Bundesfinanzhof nicht zur Motivation bei.
Im Steuerrecht kommt noch das Paradoxon hinzu, dass hier nicht nur in internationalen Großkanzleien überdurchschnittliche Gehälter in Aussicht stehen, sondern dass auf der anderen Seite auch die Richter der Finanzgerichtsbarkeit überdurchschnittliche Nebeneinkünfte erzielen. Schon im Jahre 2016 kritisierte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Klaus Rennert, dass gerade beim Bundesfinanzhof hohe Nebenverdienste erzielt werden. Der Nebenverdienst eines Richters am BFH lag im Durchschnitt im Jahre 2016 gut 30 000 Euro höher als bei keinem anderen Bundesgericht (https://www.welt.de/wirtschaft/article160915749/Die-fragwuerdigen-Gehaltsexzesse-der-Bundesrichter.html, Abruf: 20.4.2021).
Um unwürdige Auseinandersetzungen um Stellen an Bundesgerichten für die Zukunft zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber tätig werden. In § 22 Abs. 6 GVG sind bspw. detaillierte Qualitätsanforderungen für Richter auf Probe und Richter in Insolvenz- und Restrukturierungssachen normiert. Was hindert den Gesetzgeber, eine Regelung zu schaffen, die vorsieht, dass Vorsitzender Richter an einem Bundesgericht nur werden kann, wer an diesem Gericht mindestens fünf Jahre als Richter tätig gewesen ist?
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.
Schmittmann, BB 2021, Heft 17, Umschlagteil, I