Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität – Mehr Verantwortung für Bilanzkontrolleure
Die unbegrenzte bzw. deutlich erhöhte Haftung bei grober Fahrlässigkeit ist das entscheidende Element des neuen Haftungsregimes
Am 20.5.2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) mit den vom Finanzausschuss empfohlenen gravierenden Änderungen beschlossen; der Bundesrat hat am 28.5.2021 zugestimmt. Das FISG ist die legislative Antwort auf die bewusst irreführende Finanzberichterstattung der mittlerweile insolventen Wirecard AG, die über Jahre hinweg weder vom Aufsichtsrat noch vom Abschlussprüfer und auch nicht von Aufsichtsinstanzen wie der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – trotz vieler Red Flags – bemerkt wurde. Das deutsche Finanzaufsichtssystem bestand einen wichtigen Stresstest nicht. Zu Recht wurde deshalb von organisierter Verantwortungslosigkeit und einem multiplen Aufsichtsversagen gesprochen. Kein Bilanzskandal der Nachkriegszeit hat eine so große, auch internationale mediale Aufmerksamkeit erfahren. Umfassende Aufklärungsarbeit wurde durch zahlreiche parlamentarische Anfragen an die Bundesregierung und einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags geleistet, der sich u. a. auch kritisch mit dem System der Bilanzkontrolle und Abschlussprüfung befasst hat. Angesichts dieser Begleitumstände war eine zeitnahe gesetzgeberische Reaktion zwingend.
Das FISG stärkt die interne Corporate Governance bei Unternehmen von öffentlichem Interesse durch die zwingende Verpflichtung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses mit Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung sowie direkten Auskunftsrechten bei zuständigen Zentralbereichen der Gesellschaft, z. B. der Controlling-, Risikomanagement- oder Rechnungslegungsleitung.
Die wichtigsten Änderungen für Abschlussprüfer sind signifikante Haftungsverschärfungen bei gesetzlich vorgeschriebenen Abschlussprüfungen für Geschäftsjahre nach dem 31.12.2021. In § 323 HGB, der die Haftung des Abschlussprüfers und seiner Gehilfen für Schäden der geprüften Kapitalgesellschaft und mit ihr verbundener Unternehmen regelt, wurden die Haftungshöchstgrenzen für Abschlussprüfungen von kapitalmarktorientierten Unternehmen bei einfacher Fahrlässigkeit auf 16 Mio. Euro, von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen auf 4 Mio. Euro und für alle übrigen Unternehmen auf 1,5 Mio. Euro angehoben. Galten bisher die sehr niedrigeren Haftungshöchstgrenzen von 1 bzw. 4 Mio. Euro selbst bei grober Fahrlässigkeit, haften nunmehr Prüfer kapitalmarktorientierter Unternehmen bei grob fahrlässigen Berufspflichtverfehlungen unbegrenzt. Liegt dieser Tatbestand bei der Prüfung von Kreditinstituten und Versicherungen vor, erhöht sich die Haftungsgrenze auf 32 Mio. Euro und bei den übrigen Unternehmen auf 8 Mio. Euro. Die unbegrenzte bzw. deutlich erhöhte Haftung bei grober Fahrlässigkeit ist das entscheidende Element des neuen Haftungsregimes und wurde gegen den Widerstand des Berufsstands durchgesetzt. Dadurch sollen notwendige Anreize zu sorgfältigeren Prüfungen gesetzt werden und zugleich Schäden beim geprüften Unternehmen kompensiert werden.
Umstritten war auch die Einführung eines neuen Straftatbestands in § 332 HGB. Die leichtfertige Erteilung eines unrichtigen Bestätigungsvermerks zu Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse wird mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert. Da dieser Paragraf nach h. M. als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB gilt, können geschädigte Dritte zukünftig gegen Abschlussprüfer klagen, sofern sie von einer leichtfertigen Testierung ausgehen. Bei erfolgreichen Klagen würde der Abschlussprüfer unbegrenzt haften. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte die neue Regelung auslegen werden.
Änderungen in der Wirtschaftsprüferordnung betonen noch stärker die Bedeutung der kritischen Grundhaltung und verkürzen die Rotationsfrist der verantwortlichen Prüfungspartner von bislang sieben auf fünf Jahre, d. h. auf die Hälfte der nunmehr für alle Unternehmen von öffentlichem Interesse geltenden maximalen Laufzeit des Prüfmandats von zehn Jahren. In Bekanntmachungen der Wirtschaftsprüferkammer oder der Abschlussprüferaufsichtsstelle über unanfechtbare berufsaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen Berufsangehörige oder Berufsgesellschaften, wie z. B. Geldbußen oder Tätigkeitsverbote, wird zukünftig sowohl der Name des Berufsangehörigen als auch die zugehörige Gesellschaft genannt. Damit wird die Transparenz des Berufsaufsichtsverfahrens deutlich erhöht.
Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses haben sich die Kritiker des bislang zweistufigen deutschen Enforcement-Verfahrens durchgesetzt. Die DPR wird mit Ablauf des Jahres 2021 ihre Tätigkeit einstellen, und die BaFin wird in alleiniger Zuständigkeit sowohl Anlass-, als auch Stichprobenprüfungen der Abschlüsse und Lageberichte kapitalmarktorientierter Unternehmen übernehmen. Die – neben Aufsichtsrat und Abschlussprüfung – dritte Säule der Prüfung der Rechnungslegung wird damit zu einer rein hoheitlichen Aufgabe.
Das FISG gibt eine erste angemessene Antwort auf den Wirecard-Fall und muss sich in der Praxis bewähren. Die Diskussion über die Regulierung der Abschlussprüfung wird weitergehen, z. B. über die Notwendigkeit einer stärkeren operativen Trennung des Prüfungs- und Beratungsgeschäfts bei großen Prüfungsgesellschaften und einer Anpassung der Prüfungsstandards zur Aufdeckung von Rechnungslegungsmanipulationen und zu ausreichend geeigneten Prüfungsnachweisen.
Prof. Dr. Hansrudi Lenz ist Inhaber des Lehrstuhls für BWL, Wirtschaftsprüfungs- und Beratungswesen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er ist Mitglied der Prüfungskommission für das Wirtschaftsprüfungsexamen und hat als Sachverständiger an der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität teilgenommen.
Lenz, BB 2021, Heft 25, Umschlagteil, I