Die Mindeststeuer – eine steuerpolitische Wette

Die Mindeststeuer – eine steuerpolitische Wette

Abbildung 1

Als die OECD das Projekt der globalen Mindeststeuer vorstellte, war die Euphorie im politischen Betrieb groß. Bot sich doch erstmals die Chance, global agierende Konzerne bei der Steuergestaltung zu beschneiden. Ziel war ausdrücklich die Steuervermeidung. Konzerne sollen ihre Gewinne nicht mehr in Niedrigsteuerländer überführen können, um sich so der Finanzierung des Gemeinwohls zu entziehen. Geeinigt wurde sich auf einen Steuersatz von 15 %. 137 Staaten haben sich auf diese Mindeststeuer verständigt. Ein Inkrafttreten ist ab 2024 vorgesehen. Zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen fand am 16.10.2023 eine Anhörung im Rahmen des nationalen Gesetzgebungsvorhabens statt. Diese Anhörung hat nun einige Probleme zutage gefördert. So zeigten die Sachverständigen Frau Dr. Nadia C. Altenburg, Rechtsanwältin und Steuerberaterin von der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg, geladen auf Vorschlag der CDU/CSU Fraktion und Frau Professor Dr. Deborah Schanz, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre – LMU München, geladen auf Vorschlag der FDP-Fraktion, die Notwendigkeit auf, wegen der Einführung der Mindeststeuer andere steuerrechtliche Regelungen zu überdenken und abzuschaffen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer sprach gar von den “kompliziertesten steuerrechtlichen Regelungen” seit langem. Vor allem das Nebeneinander von Hinzurechnungsbesteuerung und Mindeststeuer, beide mit dem gleichen Ziel, Gewinnverlagerungen zu verhindern, wurde kritisiert. Deutlich positivere Worte fand Dr. Achim Pross, Stellvertretender Direktor, OECD-Zentrum für Steuerpolitik und -verwaltung, auf Vorschlag der SPD-Fraktion geladen. “Wir schätzen, dass 200 Milliarden Euro in die Kassen der Staatengemeinschaft zusätzlich fließen”, so Pross, “von denen ein merkenswerter Betrag auch auf Deutschland entfiele.”

Hier drängt sich der Eindruck auf, dass mit einer “großen Zahl” Politik gemacht wird. Fest steht, dass das Mindeststeuergesetz, mit immerhin 95 Paragraphen, das Steuerrecht weiter verkompliziert und die Befolgungs- und Erhebungskosten für die betroffenen Unternehmen steigen werden. Die einheitliche Bemessungsgrundlage der Mindeststeuer basiert auf anerkannten Rechnungslegungsstandards, wie IFRS. Diese wurden bisher für steuerliche Zwecke nicht genutzt. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage auf Basis von IFRS erfordert Anpassungen in Buchhaltungs- und Rechnungswesensystemen. Hinzutreten die zunehmenden Berichts- und Dokumentationspflichten der Unternehmen. Als Beispiel sei der Country-by-Country-Report genannt, mit dem gegenüber der Finanzverwaltung grenzüberschreitende Steuergestaltungen angezeigt werden müssen. Völlig unklar ist, wie die komplexen Einzelregelungen, die die Gewinnverlagerung bekämpfen sollen, mit der Mindeststeuer in Beziehung gesetzt werden. Zu denken ist an die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung oder Zins- und Lizenzschranke, Verrechnungspreisregeln und Steueroasenabwehrgesetz. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat 2022 eine Befragung durchgeführt, nach der die jährlichen Befolgungskosten für die Unternehmen 100 Mio. Euro betragen könnten. Die Bundesregierung ist durchaus optimistischer. So geht der Entwurf des Mindeststeuergesetzes von etwa 40 Mio. Euro pro Jahr aus. Nicht nur auf Seiten der Unternehmen entstehen Kosten. Auch die Finanzverwaltung wird betroffen sein. Schließlich muss diese die Mindeststeuererklärung und Mindeststeuerberichte prüfen. Ob das mit den vorhandenen Kapazitäten leistbar ist? Zweifel sind angebracht.

Wie sieht es aber nun mit dem Steueraufkommen von Deutschland aus? Das ifo Instiut kommt in seinen Berechnungen zu einem zusätzlichen Steueraufkommen für Deutschland von ca. 1,9 Mrd. Euro. Dies liegt vor allem an der Einführung der sog. “Carve-Outs”. Dahinter verbirgt sich ein substanzbasierter Freibetrag, demzufolge Gewinn in Höhe von 5 % der materiellen Gegenstände und 5 % der Lohnsumme von der Mindeststeuer ausgenommen werden sollen. Für 2023 sind sogar 8 % der materiellen Gegenstände und 10 % der Lohnsumme vorgesehen. Damit ist der Charakter der Mindeststeuer wesentliche verändert worden. Gestartet wurde als Belastung aller Gewinne mit 15 %, so sind es nun nur noch die Übergewinne, die über den “Carve-Out” hinausgehen.

Damit wird aber auch die Wirkung der Mindeststeuer geändert. Der Wettbewerb um die Buchgewinne wird zum Wettbewerb um Realinvestitionen. Wird in Niedrigsteuerländern nämlich produziert, fallen die dazu erforderlichen sachlichen und personellen Investitionen, wegen der “Carve-Out” nicht mehr unter die Mindeststeuer. Damit wird der Wettbewerb um Investitionen eröffnet. Für Unternehmen kann es nun interessant sein, nicht nur Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern, sondern gleich die Produktion. Bisher war es so, dass die Gewinne in einem Niedrigsteuerland besteuert wurden, in dem weder Infrastruktur noch nennenswertes Personal genutzt wurde, um Gewinne zu erzielen. In Zukunft wird nun ein Anreiz geschaffen, dort Steuern zu zahlen, wo Infrastruktur und Person zu Produktionszwecken genutzt werden. Wird Deutschland dabei gut abschneiden? Fraglich, denn es könnte das Risiko entstehen, dass andere Länder in diesem Wettbewerb um Arbeitsplätze und Produktionsmöglichkeiten die Gewinner sind. Wir werden sehen, ob diese steuerpolitische Wette aufgeht.

Professor Dr. iur. Michael
Stahlschmidt
, M.R.F LL.M. MBA LL.M., RA/FAStR/FAInsSanR/FAMedR/StB, Diplom-Betriebswirt/FH lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Chefredakteur Der SteuerBerater Frankfurt am Main/Medebach.

Stahlschmidt, StB 2023, Heft 11, Umschlagteil, I