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BAG: Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten – Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG- Zahlung von Überstundenzuschlägen

Das BAG hat mit Vorlagebeschluss (EuGH) vom 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A) – wie folgt entschieden:

1. Die Frage, ob eine tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, entgegen Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG eine Entgelt-Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält, kann der Senat nicht ohne Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV beantworten (Rn. 20 ff.).

2. Dabei spricht viel dafür, dass die Anwendung einer solchen Regelung nicht zu einer Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten führt, denn durch diese Regelung erhalten die Teilzeitbeschäftigten und die Vollzeitbeschäftigten sowohl pro Arbeitsstunde als auch für die gleiche Anzahl verrichteter Arbeitsstunden das gleiche Entgelt. Dies gilt unabhängig davon, ob die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit überschritten oder nicht überschritten wird, denn beiden Arbeitnehmergruppen stehen im erstgenannten Fall die Überstundenzuschläge zu, im zweitgenannten Fall nicht (Rn. 24).

3. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass eine solche bloße Orientierung am pro Arbeitsstunde erhaltenen Entgelt zu einer (unzulässigen) Ungleichbehandlung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen führt, da nicht nur Vollzeitbeschäftigte, sondern auch Teilzeitbeschäftigte ausgehend von ihrer individuell vertraglich vereinbarten Arbeitszeit mit Überstunden mehr Arbeit leisten, als sie nach ihrem Arbeitsvertrag schulden und dass dieser Umstand als nachteilige Auswirkung auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen sein könnte. Denn schließlich ist es nach Art. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG das Ziel dieser Richtlinie, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen. Nach Art. 1 Satz 2 Buchstabe b der Richtlinie 2006/54/EG betrifft dies die Arbeitsbedingungen insgesamt, nicht allein das Arbeitsentgelt (Rn. 26).

4. Soweit die erste Frage zu bejahen wäre, ist weiter im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV zu klären, ob eine solche Entgelt-Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erheblich mehr Frauen als Männer betrifft und nach welchen Kriterien dies für eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens im Einzelnen zu beurteilen ist. Dabei liegt eine Besonderheit der Situation des Ausgangsverfahrens darin, dass die Gruppe der Frauen sowohl unter den Teilzeitbeschäftigten als auch unterden Vollzeitbeschäftigten stark vertreten ist und dies Einfluss haben könnte auf die Methode des Vergleichs bei der Frage, ob die Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft (Rn. 27 ff.).

5. Soweit sich nach Beantwortung der ersten beiden Fragen noch die Frage der Rechtfertigung einer Entgelt-Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts stellt, ist zu klären, ob es ein rechtmäßiges Ziel sein kann, wenn Tarifvertragsparteien mit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen (vgl. OS 1.) zwar auf der einen Seite das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine Inanspruchnahme der Beschäftigten über das vereinbarte Maß hinaus mit einem Überstundenzuschlag zu honorieren, auf der anderen Seite allerdings auch das Ziel verfolgen, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern und deshalb regeln, dass Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden (Rn. 32 ff.).

6. Zudem kann der Senat nicht ohne Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV beantworten, ob Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen ist, dass eine nationale tarifvertragliche Regelung (vgl. OS 1.), nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält.

7. Soweit die vorherige Frage bejaht werden sollte, stellt sich anschließend die Frage, ob Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG so auszulegen ist, dass es ein objektiver/sachlicher Grund sein kann, wenn Tarifvertragsparteien mit einer Regelung – (vgl. OS 5.) – zwar auf der einen Seite das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine Inanspruchnahme der Beschäftigten über das vereinbarte Maß hinaus mit einem Überstundenzuschlag zu honorieren, auf der anderen Seite allerdings auch das Ziel verfolgen, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern und deshalb regeln, dass Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden.

(Orientierungssätze)