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OLG Stuttgart: Schätzung eines Kartellschadens – ökonometrisches Privatgutachten

Mit Urteil vom 9.12.2021 – 2 U 101/18 – hat das OLG Stuttgart entschieden:

1. Zu den Faktoren, die für die Schätzung des Kartellschadens relevant sind.

2. Ökonometrische Privatgutachten, die von den Parteien im Prozess zum Nachweis oder zur Widerlegung eines Kartellschadens vorgelegt werden, stellen qualifizierten Parteivortrag dar. Sie können vom Gericht nur überprüft werden, wenn die zugrunde gelegten Annahmen und Methoden und die verwendeten Daten offengelegt werden. Allein das dargestellte Ergebnis der Gutachten hat keine Aussagekraft.

3. Kommen ökonometrische Privatgutachten mit einer Regressionsanalyse – deren Datengrundlage offen gelegt wird – zum Ergebnis, dass eine kartellbedingte Preisüberhöhung nicht nachweisbar ist, stellt dies einen im Rahmen der Schadensschätzung zu berücksichtigenden Umstand mit indizieller Bedeutung dar. Solche Gutachten sind auch zu berücksichtigen, wenn es um den Erlass eines Grundurteils und die hierfür erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geht. Das Gericht muss die Belastbarkeit der von den Parteien vorgelegten Regressionsanalysen – ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – auch im Rahmen der Entscheidung über den Grund überprüfen und den vorgebrachten Einwänden nachgehen. Ohne eine solche Überprüfung ist deren indizielles Gewicht offen und der Erlass eines Grundurteils nicht zulässig.

4. Ist ein ökonometrisches Privatgutachten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz erstellt worden, kann es in der Berufungsinstanz nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden, weil es in erster Instanz noch nicht vorgelegt werden konnte und eine Verpflichtung der Partei, ein derartiges Gutachten schon in erster Instanz in Auftrag zu geben, nicht bestand.

5. Hat das erstinstanzliche Gericht ein Grundurteil erlassen und haben die Parteien in der Rechtsmittelinstanz ökonometrische Gutachten vorgelegt, die ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden können, kann das Gericht auf Antrag einer Partei gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO das Grundurteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über den Betrag – an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen. Denn der Erlass eines Grundurteils ist nun ermessensfehlerhaft und daher unzulässig, weil er zu einer ungerechtfertigten Verteuerung und Verzögerung des Verfahrens führen würde: Es würde zunächst im Grundverfahren ein Gutachten zur Richtigkeit der vorgelegten Regressionsanlysen eingeholt werden und sodann im Betragsverfahren ein weiteres Gutachten zur Frage, in welcher Höhe tatsächlich ein Schaden entstanden ist.

6. Bei der Entscheidung, ob die Sache zurückverwiesen oder aber das in erster Instanz anhängige Betragsverfahren in die Berufungsinstanz gezogen und dort einheitlich über Grund und Betrag entschieden wird, ist der mit der Zurückverweisung verbundene Zeit- und Kostenaufwand gegen den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen. Hat das Berufungsgericht schon zum Grund eine kosten- und zeitintensive Beweisaufnahme durchgeführt, an die die lediglich angeknüpft werden muss, ist es zweckmäßiger, die bereits begonnene Beweiserhebung fortzusetzen. Hat die Beweiserhebung hingegen noch gar nicht begonnen, ist kein Grund dafür ersichtlich, den Parteien durch das Hochziehen des Betragsverfahrens eine Instanz zu nehmen. Hat das erstinstanzliche Gericht in anderen das LKW-Kartell betreffenden Verfahren bereits eine Beweiserhebung zur Frage des Kartellschadens eingeleitet, die zu einem großen Teil Fragen betrifft, die sich in allen Verfahren gleichermaßen stellen, spricht dies für eine Zurückverweisung.