Quo vadis Energiecharta? Investitionen in die Energiewende benötigen weiterhin Garantien durch die Energiecharta
Eine Einschränkung des Investitionsschutzes wäre mit Blick auf ein Gelingen der Energiewende und damit im Kampf gegen den Klimawandel kontraproduktiv.
Überwiegend per Videokonferenz wird zur Zeit intensiv über die Reform des Vertrages über die Energiecharta (Energy Charter Treaty, ECT) verhandelt. Einige Vertragsstaaten drängen darauf, den Investitionsschutz und den Zugang zu neutralen Schiedsgerichten einzuschränken. So sollen zukünftig etwa nur noch Investitionen in erneuerbare Energien geschützt werden. Auch ein koordinierter Austritt der Mitgliedstaaten der EU wird als Drohkulisse für den Fall, dass eine Reform nicht gelingen sollte, ins Spiel gebracht. Eine Einschränkung des Investitionsschutzes wäre jedoch sowohl mit Blick auf ein Gelingen der Energiewende als auch für die Energieversorgungssicherheit konterproduktiv. Denn langfristige Investitionen in die Energieinfrastruktur erfordern attraktive und zuverlässige Investitionsbedingungen. Ohne die Bereitschaft privater Investoren, in erneuerbare Energien zu investieren, kann insbesondere die Energiewende nicht gelingen.
Beim ECT mit heute 54 Vertragsparteien handelt es sich um eines der wichtigsten Investitionsschutzabkommen weltweit. Neben vielen weiteren Regelungsgebieten garantieren Vertragsstaaten Investoren aus anderen Vertragsstaaten eine faire und angemessene Behandlung ebenso wie Schutz vor Diskriminierung und Enteignung. Investoren haben Zugang zu neutralen, internationalen Schiedsgerichten, die nach völkerrechtlichen Regeln operieren.
Der ECT hat damit in den vergangenen Jahrzehnten Investoren im Bereich des Energiesektors, die oft signifikante Summen in Projekte mit Laufzeiten von 20 oder mehr Jahren investieren, ein hohes Maß an Investitionssicherheit zur Verfügung gestellt. Vor allem zeigt die steigende Zahl von Schiedsverfahren auf der Basis des ECT eine wachsende Bedeutung des eigenständigen völkerrechtlichen Schutzes von Investitionen:
Das Sekretariat des ECT zählt bis heute 142 Schiedsverfahren. Die Mehrzahl dieser Verfahren betrifft dabei die Verletzung des ECT im Zusammenhang mit Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien. Allein die Kürzung von Einspeisetarifen für Photovoltaikanlagen in Spanien hat bis heute mehr als 50 Verfahren hervorgerufen. Deutschland muss sich zur Zeit in zwei Verfahren im Zusammenhang mit den Reformen im Bereich der Offshore-Windenergie verantworten.
Eine kleinere Anzahl von Fällen von ECT-Schiedsverfahren betrifft Investments im Gas- und Kohlesektor. Die Verfahren von RWE und Uniper gegen die Niederlande haben in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht. In den Verfahren werfen die Energiekonzerne den Niederlanden vor, im Rahmen des Kohleausstieges den ECT verletzt zu haben.
Diese und andere Fälle werden von einigen Organisationen genutzt, um den ECT als ein Relikt der “alten” Energieindustrie darzustellen. Einem Aufruf von NGOs folgend drängen insbesondere Spanien, Frankreich und Luxemburg darauf, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten umfassende Reformen durchsetzen oder sogar den Vertrag kündigen.
Das Bild, das NGOs von dem ECT zeichnen, ist indes in der Sache falsch: Der ECT differenziert nicht zwischen den verschiedenen Art der Energieerzeugung, in die investiert wird. Geschützt werden alle Investoren im Bereich der Energie davor, dass sie von Staaten in einer Art und Weise behandelt werden, die völkerrechtlichen Standards widerspricht. Von besonderer Bedeutung ist dabei die “billige und gerechte” Behandlung ausländischer Investoren (fair and equitable treatment, Art. 10 Abs. 1 ECT). Warum diese Grundsätze für Investitionen, z. B. in Gasinfrastruktur, die gerade aktuell wieder dringend benötigt wird, nicht gelten sollen, ist völlig unklar. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass das gemeinsame Positionspapier der Ampel-Koalition aktuell Investitionen in neue, sparsame Gaskraftwerke als Mittel zur Beschleunigung der Energiewende fordert.
Ein Wegfall des Schutzes des ECT hätte für viele Investoren in der Energiebranche dramatische Folgen: Die Errichtung von Windparks, Photovoltaikanlagen, aber auch neue Gaskraftwerke oder der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur erfordern signifikante Investitionen. Diese Investments werden im Vertrauen auf einen Staat getätigt, der berechenbar handelt. Ein stabiler Regulierungsrahmen ist Voraussetzung für diese Investments. Ohne die Garantien des ECT würde es in vielen Fällen deutlich schwieriger, Investoren zu überzeugen, diese Investitionen zu tätigen. Denn ohne den Schutz des ECT wären Investoren gegenüber dem Verhalten von Staaten, die im Widerspruch zu grundsätzlichen völkerrechtlichen Standards stehen, deutlich schlechter gestellt.
Dieses Ergebnis kann aber nicht gewollt sein. Es würde den Erfolg der Energiewende und damit den Kampf gegen den Klimawandel schwieriger, nicht einfacher machen.
Dr. Moritz Keller, LL.M., RA, ist Partner bei Clifford Chance PartG mBB und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt und der Universität Passau. Er vertritt regelmäßig sowohl Staaten als auch Investoren vor internationalen Schiedsgerichten, einschließlich nach dem Vertrag über die Energiecharta.
Sebastian Lutz-Bachmann, LL.M., Maître en droit, ist Rechtsanwalt bei Posser Spieth Wolfers & Partners und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er berät zum Verwaltungs-, Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und vertritt nationale und internationale Mandanten in komplexen Prozessen vor sämtlichen nationalen Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof sowie in Schiedsverfahren.
Keller/Lutz-Bachmann, BB 2021, Heft 48, Umschlagteil, I