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BAG: Bezugnahme auf mehrere Tarifwerke – ergänzende Vertragsauslegung

Das BAG hat mit Urteil vom 28.4.2021 – 4 AZR 229/20 – entschieden:

1. Begehrt eine Arbeitnehmerin die Feststellung, dass ihr tarifliche Ansprüche zustehen, müssen die maßgebenden Tarifverträge in den Klageanträgen so genau bezeichnet werden, dass keine Zweifel über den Gegenstand der gerichtlichen Sachentscheidung bestehen (Rn. 15 f.).

2. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass sich die Rechte und Pflichten ua. „aus den jeweils gültigen Tarifverträgen“ ergeben, sollen regelmäßig die für den Arbeitgeber jeweils geltenden Tarifverträge (§ 4 Abs. 1 und Abs. 5 TVG) für das Arbeitsverhältnis maßgebend sein (Rn. 23).

3. Die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel setzt nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen voraus, dass die in Bezug genommenen Tarifnormen, die die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis regeln, eindeutig bestimmbar sind. Ist dies im Fall einer Verweisung auf inhaltlich unterschiedliche Tarifwerke verschiedener Gewerkschaften auch durch Auslegung nicht möglich, ist die Klausel unwirksam (Rn. 26).

4. Eine dynamische Bezugnahmeklausel ist allerdings nicht schon unwirksam, wenn die in Bezug genommenen Tarifnormen zwar im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eindeutig bestimmbar sind, aber nicht absehbar ist, welchen zukünftigen Inhalt die in Bezug genommenen Tarifregelungen haben. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Anwendung der Klausel (Rn. 26).

5. Für den Fall der Bezugnahme auf inhaltlich unterschiedliche Tarifwerke verschiedener Gewerkschaften bedarf es einer vertraglichen Kollisionsregelung, die sich auch im Wege der Auslegung ergeben kann. Eine in Ermangelung einer Kollisionsregelung entstandene Regelungslücke kann durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Kommen mehrere Möglichkeiten der Lückenschließung in Betracht, ist diejenige zu wählen, die die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise selbst ausgewählt hätten. Sind in diesem Fall keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte für den hypothetischen Parteiwillen ersichtlich, ist eine ergänzende Vertragsauslegung durch das Gericht ausgeschlossen (Rn. 41 ff.).

6. War das Bezugnahmeobjekt einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel zunächst bestimmbar, entfällt die Bestimmbarkeit aber zu einem späteren Zeitpunkt, ohne dass die Bezugnahmeklausel – ggf. nach (ergänzender) Vertragsauslegung – eine Kollisionsregelung enthielte, folgt daraus regelmäßig nicht die Unwirksamkeit der gesamten Verweisungsklausel, sondern lediglich der Entfall ihrer Dynamik. Anwendbar bleiben die zuletzt übereinstimmenden Tarifwerke (Rn. 54 ff.).

7. Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, sich darauf zu berufen, eine von ihm selbst gestellte Bezugnahmeklausel schließe die Einbeziehung einer dem Arbeitnehmer günstigen Tarifnorm unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB) aus (Rn. 40, 56).

(Orientierungssätze)