Stringenter, effektiver – das Erreichen dieser Zielsetzung auf Basis des Entwurfs der Produktsicherheits-VO darf bereits heute bezweifelt werden.
Während die Digitalisierung jedes Lebensbereiches auch auf der gesetzgeberischen Ebene unzählige Vorhaben angeschoben hat, war die Materie des teilweise seit Jahren unveränderten Produktsicherheitsrechts ein stabiler Pfeiler in den rechtlichen Herausforderungen für Wirtschaftsakteure in der EU. Diese Situation wird sich mit dem neuen Produktsicherheitsrecht signifikant ändern. Der Entwurf der neuen Produktsicherheitsverordnung ist seit dem 30. Juni 2021 veröffentlicht – und bereits die Gestaltung als Verordnung im Gegensatz zur seit 2001 geltenden alten Richtlinie zeigt die Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers: Stringenter, intensiver, effektiver und durchsetzungsstärker soll der produktrechtliche Rahmen in der EU werden – die Zielerreichung auf Basis des Verordnungsentwurfs darf bereits heute bezweifelt werden.
Die Europäische Kommission macht mit dem Entwurf einige Entwicklungsschritte, die man durchaus kritisch betrachten darf. Dazu gehört neben dem Griff in die Struktur einer Verordnung – was sich insgesamt in vielen Bereichen abzeichnet und an anderer Stelle zu Recht als Eingriff in das Subsidiaritätsprinzip diskutiert wird – insbesondere der Umgang mit der Definition eines unsicheren bzw. fehlerhaften Produkts selbst. Aus Art. 7 des Entwurfs leiten sich enumerativ die Elemente ab, die auf die Definition des notwendigen Sicherheitsniveaus eines Produktes einzahlen. Relevant ist aus meiner Sicht zum einen und insbesondere der Umgang mit dem negativen Einfluss von Kombinationsprodukten, für die wiederum der verantwortliche Wirtschaftsakteur des betrachteten Produktes verantwortlich zeichnen soll. Die Parallelität zu dem in der bundesdeutschen, produkthaftungsrechtlichen Rechtsprechung bekannten Honda-Urteil von vor nahezu 45 Jahren ist offensichtlich – die Lehren aus der praktischen Nichtanwendung dieser Rechtsprechung in Deutschland hat der europäische Gesetzgeber offenkundig nicht gezogen. Die Umsetzung war schon in Deutschland praktisch unmöglich und wird es im europäischen Produktsicherheitsrecht ebenso sein. Aus praktischer Sicht noch bedeutender ist die Einflussgröße Cybersecurity, die neben dem Entwurf der neuen Maschinenverordnung auch in der Produktsicherheitsverordnung Raum greift und durch Elemente der Künstlichen Intelligenz in Art. 7 (i) ergänzt wird.
Mit diesem digitalen Rundumschlag will die Kommission die Einflussgrößen der Vernetzung und Digitalisierung von Produkten auffangen und nimmt hierzu gefährdungsrelevante Einflussgrößen aus Autonomisierung und Cybersecurity in die Risikobetrachtung des Produktes auf.
In der Kombination mit den in diesen Bereichen häufig völlig fehlenden Normen und Standards ergibt sich hier für die verantwortlichen Wirtschaftsakteure ein erheblicher Umsetzungsdruck, der in der Praxis nicht so einfach lösbar sein wird.
Die Parallelität der Regelungen zu den verantwortlichen Wirtschaftsakteuren mit der neuen, bereits in Kraft getretenen Marktüberwachungsverordnung (VO [EU] 2019/1020), insbesondere die Erweiterung der Pflichtenkreise auf Fulfillment-Dienstleister und andere Akteure des Onlinehandels, ist demgegenüber nur eine erwartbare Erweiterung der Produktsicherheitsverordnung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Eine stringente und intensivere Regelung zu den Europäischen Repräsentanten, die dem Problem des Imports fehlerhafter und unsicherer Non-EU-Produkte als Gegengewicht hätte dienen können, ist dagegen nicht erfolgt.
Schwerwiegender sind neben den erwähnten Änderungen im Bereich Cybersecurity und Künstlicher Intelligenz die Ideen der Kommission, wie mit fehlerverdächtigen Produkten im Feld umgegangen werden soll. Die geforderte Transparenz und Fristsetzung der Kommunikation gegenüber Behörde und Markt – teilweise innerhalb von zwei Tagen nach der ersten Information zu einem Problem – führt in der Praxis dazu, dass die zwingend notwendige, intensive Befassung mit dem Produkt durch den Wirtschaftsakteur auf Basis etwa einer am RAPEX-Leitfaden orientierten Risikobeurteilung außen vor bleiben muss. Das kann ebenso wenig im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit unsicheren Produkten sein wie die geplante Regelung eines Umtausch- oder Reparaturrechts, die einer Verlängerung oder Erweiterung der vertraglichen Sachmängelhaftung gleichkäme und aus Sicht des Verfassers erster Streichkandidat der anstehenden Verhandlungen sein wird.
Kombiniert mit den schon aus der DSGVO bekannten Strafhöhen von mindestens (sic!) 4 % des Jahresumsatzes für entsprechende Versäumnisse der Unternehmen wird die Verordnung deutlich weniger effektiv, als man es als europäischer Wirtschaftsakteur im Hinblick auf die weiterhin hohe Quote von produktsicherheitstechnisch tatsächlich relevanten Non-EU-Importen erwartet hätte. Die Krux des europäischen Ansatzes, Importe über den Zoll entsprechend zu filtern und dann mittels Marktüberwachung quasi im Nachgang aufzuräumen, wird weder durch die neuen Regelungen des Entwurfs noch durch die bereits in Kraft befindliche neue Marktüberwachungsverordnung gelöst. Die jetzt vorgeschlagenen Regelungen hinterlassen in ihrer jetzigen Form erhebliche Fragezeichen und würden massive Aufwände vor allem bei den europäischen Wirtschaftsakteuren zur Folge haben, die die bestehenden Regelwerke im Rahmen des New Legislative Framework seit Jahren umsetzen und sich nunmehr einem überbordenden Gesetzeswerk gegenübersehen, dessen praktische Handhabbarkeit in vielen Fällen nicht vorhanden sein dürfte.E
Philipp Reusch, RA, ist Gründer und Partner bei Reusch Rechtsanwälte in Berlin. Er berät nationale und internationale Unternehmen in haftungsrechtlichen Fragen und im Produktsicherheitsrecht. Sein ursprünglicher Branchenfokus auf Unternehmen der Maschinenbau- und Automobilzuliefererindustrie hat sich mittlerweile auf Unternehmen der Konsumgüterindustrie sowie Hersteller von Medizin- und Kosmetikprodukten erweitert.