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Generalanwältin Medina: Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine katholische Organisation wegen seines Austritts aus der katholischen Kirche kann eine Diskriminierung wegen der Religion darstellen

Dies sei der Fall, wenn die Organisation die fragliche Berufstätigkeit nicht von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig gemacht hat und der Arbeitnehmer nicht offen in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft

Die Katholische Schwangerschaftsberatung ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland. Er berät u. a. Schwangere, insbesondere in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche.

Die Beschäftigten des Verbandes müssen zwar nicht katholisch sein, auf sie finden jedoch besondere Beschäftigungsbedingungen der katholischen Kirche Anwendung.[1] Bei katholischen Arbeitnehmern wird der Austritt aus der katholischen Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber erachtet und kann eine Kündigung nach sich ziehen. Der Kirchenaustritt gehört nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche.

2019 kündigte die Katholische Schwangerschaftsberatung einer ihrer Beraterinnen im Bereich schwangerschaftsbezogener Projekte, weil sie aus der katholischen Kirche ausgetreten war[2] und sich weigerte, wieder in sie einzutreten. Zu dieser Zeit bestand das Beratungsteam für Schwangerschaftsabbrüche aus sechs Personen, darunter zwei Mitglieder der evangelischen Kirche.

Die Beraterin hat die Kündigung mit Erfolg vor den unteren deutschen Arbeitsgerichten angefochten. Die Katholische Schwangerschaftsberatung wandte sich daraufhin an das Bundesarbeitsgericht. Dieses fragt sich, ob die Kündigung eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt. Es hat daher den Gerichtshof um weitere Hinweise[3] zur Auslegung der Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf[4] ersucht, insbesondere zu den darin vorgesehenen Ausnahmeregelungen[5] in Bezug auf bestimmte berufliche Anforderungen.

In ihren Schlussanträgen von heute vertritt Generalanwältin Laila Medina die Auffassung, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine religiöse Organisation wegen seiner Entscheidung, aus einer bestimmten Kirche auszutreten, in einem Fall wie dem vorliegenden sich nicht anhand der Richtlinienbestimmung rechtfertigen lasse, die bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen der Religion zulässt.[6] Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien nicht erfüllt, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten es nicht erfordert, Mitglied der fraglichen Kirche zu sein, und der betreffende Arbeitnehmer nicht öffentlich wahrnehmbar in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft.

Eine berufliche Anforderung könne als wesentlich im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein, wenn die Tatsache, dass sich der betreffende Arbeitnehmer nicht zu einer Religion bekennt, ihn aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung sowie unter Berücksichtigung des Ethos der Organisation für die Ausübung dieser Tätigkeit ungeeignet werden lässt.

Eine berufliche Anforderung, die in der kontinuierlichen Zugehörigkeit zu einer Kirche besteht, sei jedoch dann nicht als wesentlich anzusehen, wenn eine als Arbeitgeber handelnde religiöse Organisation die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht von dieser Religionszugehörigkeit abhängig macht und die Organisation außerdem Personen mit anderen Religionszugehörigkeiten zur Ausübung eben dieser Tätigkeit beschäftigt. Der Austritt aus der fraglichen Kirche lasse für sich genommen noch nicht die Annahme zu, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht beabsichtigt, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen, und dass er automatisch aufhören wird, die für ihn aufgrund des Arbeitsverhältnisses geltenden Pflichten zu erfüllen.

Die Generalanwältin betont, dass die Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf einen angemessenen Ausgleich herstelle zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden.

Das Recht von Kirchen auf Autonomie dahin auszulegen, dass es einer religiösen Organisation erlaubt wäre, einem Arbeitnehmer unter diesen besonderen Umständen zu kündigen, liefe darauf hinaus, anzuerkennen, dass über dieses Recht auf Autonomie die Einhaltung der in der Richtlinie genannten Kriterien der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde.

Eine derartige Auslegung liefe auch der Religionsfreiheit des Einzelnen zuwider, die ausdrücklich in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union[7] gewährleistet werde und der in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Religionsfreiheit[8] entspreche.

PM Nr. 91/25 v. 10. Juli 2025, Schlussanträge der GAin Medina, Rs. C-258/24


[1] In der vorliegenden Rechtssache handelt es sich um die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbands der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015.

[2] Der Arbeitnehmerin ging es ihr in erster Linie darum, von der Zahlung des besonderen Kirchgelds befreit zu werden, dem sie als Katholikin, die mit einem gut verdienenden Ehepartner in einer glaubensverschiedenen Ehe verheiratet ist, unterworfen war.

[3] Die vorliegende Rechtssache schließt sich unmittelbar an die Urteile in der Rechtssache Egenberger (Urteil vom 17. April 2018, C-414/16; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 46/18) und in der Rechtssache IR (Urteil vom 11. September 2018, C-68/17; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 127/18) an.

[4] Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

[5] Art. 4 Abs. 1 und 2.

[6] Art. 4 Abs. 2.

[7] Art. 10 Abs. 1.

[8] Art. 9.