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EuGH: Festsetzung von Mindesthonoraren durch Berufsverband der Rechtsanwälte und „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung

EuGH, Urteil vom 25.1.2024 – C-438/22

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es feststellen sollte, dass eine nach einer nationalen Regelung verbindliche Verordnung, mit der die Mindesthonorare der Anwälte festgesetzt werden, gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, die Anwendung dieser nationalen Regelung auf die zur Zahlung der den Anwaltshonoraren entsprechenden Kosten verurteilte Partei ablehnen muss, und zwar auch dann, wenn diese Partei keinen Vertrag über Anwaltsdienstleistungen und Anwaltshonorare abgeschlossen hat.

2. Art. 101 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die es zum einen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten nicht erlaubt, eine Vergütung zu vereinbaren, die unter dem Mindestbetrag liegt, der durch eine von einem Berufsverband der Rechtsanwälte wie dem Visshia advokatski savet (Oberster Rat der Anwaltschaft) erlassene Verordnung festgesetzt wurde, und es zum anderen dem Gericht nicht gestattet, die Erstattung eines unter diesem Mindestbetrag liegenden Honorarbetrags anzuordnen, als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Bei Vorliegen einer solchen Beschränkung können die angeblich mit dieser nationalen Regelung verfolgten legitimen Ziele nicht geltend gemacht werden, um das fragliche Verhalten dem in Art. 101 Abs. 1 AEUV enthaltenen Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen zu entziehen.

3. Art. 101 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es feststellt, dass eine nach einer nationalen Regelung verbindliche Verordnung, mit der die Mindesthonorare der Anwälte festgesetzt werden, dem Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV zuwiderläuft, die Anwendung dieser nationalen Regelung ablehnen muss, und zwar auch dann, wenn die in dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge die tatsächlichen Marktpreise der Anwaltsdienstleistungen widerspiegeln.

(Tenor)