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BAG: Tarifliche Zuschläge für Nachtarbeit

– unterschiedliche Höhe bei Nachtschichtarbeit und sonstiger Nachtarbeit – Gleichheitssatz – Sachgrund – Anpassung nach oben

BAG, Urteil vom 22. März 2023 – 10 AZR 553/20

ECLI:DE:BAG:2023:220323.U.10AZR553.20.0

1. Erhalten Nachtschichtarbeitnehmer und Arbeitnehmer, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, für die von ihnen geleistete Nachtarbeit unterschiedlich hohe Zuschläge, verstößt eine solche Ungleichbehandlung dann gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn für diese Differenzierung – wie vorliegend – kein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben ist.

2. Der Aspekt des Gesundheitsschutzes rechtfertigt einen höheren Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit nicht (Rn. 47 ff.). Gleiches gilt, soweit mit einem solchen Zuschlag ein Anreiz gebildet werden soll, Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit dauerhaft bzw. regelmäßig zu leisten, da ein solcher Zweck dem Gesundheitsschutz widersprechen würde (Rn. 61). Allein aus der Verwendung des Begriffs „Nachtarbeit“ ist auch nicht erkennbar, dass darunter im Tarifsinn nur unregelmäßige, schlechter planbare Nachtarbeit zu verstehen sein soll und der höhere Zuschlag auch den Zweck verfolgt, die dadurch entstehenden weiteren Belastungen auszugleichen (Rn. 54 ff.).

3. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt für vergangene Zeiträume zum Anspruch auf sog. Anpassung „nach oben“, da nur so die Ungleichbehandlung beseitigt werden kann. Die benachteiligende Bestimmung des Tarifvertrags bleibt unangewendet, im Übrigen bleibt der Tarifvertrag wirksam (Rn. 62 ff.).

4. Die Differenz zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit, die dem benachteiligten Arbeitnehmer nachzugewähren ist, kann sich reduzieren, wenn der Tarifvertrag zusätzlich zu dem Zuschlag für Nachtschichtarbeit weitere Leistungen als spezifischen Ausgleich für diese Nachtarbeit vorsieht. Ein Anspruch auf Schichtfreizeiten, der vorrangig dem Ausgleich der Belastungen durch die Schichtwechsel dient, aber Arbeitnehmern, die ständige Nacht(schicht)arbeit leisten, nicht zusteht, ist keine solche Leistung (Rn. 31, 66).

5. Wird ein bestimmter Anspruch jeweils auf den gleichen Grundtatbestand gestützt, so kann dessen einmalige Geltendmachung eine einstufige tarifliche Ausschlussfrist auch dann für später entstehende Ansprüche wahren, wenn dies nicht ausdrücklich in der Norm vorgesehen ist. Entscheidend ist, dass bereits die erstmalige Forderung den Zweck der Ausschlussfrist erfüllt, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, welche Ansprüche gegen ihn gerichtet werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn – wie hier – nur über die Höhe des Zuschlags für geleistete Nachtarbeitsstunden gestritten wird (Rn. 72 ff.).

(Orientierungssätze)