Am 17.6.2020 fand im Hotel Sofitel in Frankfurt a.M. die BB-Fachkonferenz “Die insolvenzrechtlichen Folgen der COVID-19-Pandemie und die Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie” unter besonderer Atmosphäre statt. Der Chefredakteur des Betriebs-Berater, Professor Jens M. Schmittmann, begrüßte die Teilnehmer und wies zunächst auf die organisatorischen Notwendigkeiten hin, die sich aufgrund des Hygienekonzeptes ergaben. Sämtliche Veranstaltungen des BB sind mit dem Clean & Safe Siegel der InfraCert GmbH – Institut für Nachhaltige Entwicklung versehen, da weitreichende Sicherheits- und Hygienestandards eingehalten werden. Die Überwachung des Hygienekonzeptes oblag dem Hygienebeauftragten Torsten Merk, der vorgestellt wurde.
Professor Jens M. Schmittmann wies einleitend darauf hin, dass die Branche derzeit sowohl rechtliche als auch wirtschaftlich besondere Zeiten erlebt. So müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Restrukturierungsrichtlinie aus dem Sommer 2019 innerhalb von zwei Jahren umsetzen. Schon das allein ist für die meisten Regierungen und Parlamente eine große Herausforderung. Darüber hinaus hat die COVID-19-Pandemie seit März alle anderen Themen in den Hintergrund gedrängt. Der deutsche Gesetzgeber hat auf diese besondere Situation mit einer Vielzahl neuer Gesetze reagiert, u. a. mit dem COVID-Insolvenz-Aussetzungsgesetz. Darüber hinaus sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Insolvenzbranche derzeit von einem Rückgang der Insolvenzen geprägt, während sich die von der Insolvenz betroffenen Forderungen der Gläubiger im hohen einstelligen Mrd.-Bereich bewegen, da große Unternehmen von der Insolvenz betroffen sind.
Die Restrukturierungsrichtlinie wird nicht nur einen Umbruch in der Sanierungs- und Restrukturierungskultur einläuten, der alle Akteure betrifft, sondern auch einen umfassenden Eingriff in die bisherigen insolvenzrechtlichen Grundlagen der Massemehrung. Ziel des Tages ist, die Neuregelungen des COVInsAG und den Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur Restrukturierungsrichtlinie zusammenzubringen, mit namhaften Referenten zu diskutieren und dabei die insolvenz-, arbeits-, gesellschafts- und steuerrechtlichen Konsequenzen praxistauglich zu erörtern.
Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur EU-Restrukturierungsrichtlinie
Nach der Begrüßung übergab Schmittmann das Wort an Dr. Christoph Niering, Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands. Dieser berichtete sehr anschaulich vom Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur EU-Restrukturierungsrichtlinie. Die Detailtiefe seines Berichts verriet, dass er sich im unmittelbaren Zirkel der Gesetzgebung bewegt. Er stellte die historische Entwicklung der EU-Restrukturierungsrichtlinie dar. Ab dem heutigen Tage verblieben dem Gesetzgeber noch ganze 13 Monate Zeit bis zur Umsetzung. Der Zeitplan der Umsetzung bestünde aus drei Pakten, die allesamt bis zum 1.7.2021 umgesetzt werden müssten. Der Zeitdruck wäre auch damit verbunden, dass Deutschland dann die EU-Präsidentschaft übernähme und somit keine Zeit mehr für Gesetzgebung bliebe.
Insolvenzrechtliche Umsetzungsfragen
Nach einer kurzweiligen Überleitung wandten sich Michael Pluta, PLUTA Rechtsanwalts GmbH, und Professor Christoph Thole, Universität zu Köln, dem Block insolvenzrechtliche Umsetzungsfragen und Best Practise zu. Michael Pluta berichtete sehr anschaulich aus der Sicht des Praktikers über das COVInsAG. Er wies auf den Sinn der Richtlinie hin, dass ein Verfahren begründet werden solle, das weniger kompliziert sein und für die Gläubiger zu höheren Befriedigungsquoten führen solle. Allerdings wies er auch auf ungeklärte Probleme hin. So ist die Abgrenzung zum Insolvenzverfahren noch offen. Die Frage, ob die Überschuldung als Antragsgrund bleibe, sei offen und über den Zeitraum der Fortführungsprognose noch nicht zu Ende nachgedacht. Professor Christoph Thole wandte sich sodann den Umsetzungsfragen aus Sicht des Wissenschaftlers zu. Das Restrukturierungsverfahren ist kein Gesamtverfahren, d. h. nicht alle Gläubiger sind eingebunden. Typischerweise geht es um die Einbeziehung von Gläubigergruppen. Er stellt die verschiedenen Stellungnahmen von Verbänden vor und geht auf die einzelnen Aspekte besonders ein. Nach der Grundprämisse der Richtlinie ist nicht die Durchführung eines kompletten Moratoriums, sondern nur der Stopp von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen vorgesehen. Verzugsmaßnahmen sollen allerdings nicht suspendiert werden. Außerdem gibt es kein Leistungsverweigerungsrecht, da es sich um ein präventives Verfahren handelt. Neue Verbindlichkeiten müssen selbstverständlich bezahlt werden.
Umsetzungsspielräume des deutschen Gesetzgebers
Professor Thole beschrieb die Umsetzungsspielräume des deutschen Gesetzgebers. Der präventive Rahmen kann vom Gesetzgeber differenziert ausgefüllt werden. Die Umsetzung könne durch ein eigenes Gesetz oder aber auch durch Inkorporation der Vorschriften in die InsO erfolgen. Ebenso könnte das Amt des Restrukturierungsbeauftragten geschaffen werden. Bei der Mehrheitsbildung setze die Richtlinie auf die Summenmehrheit, allerdings könnten die Mitgliedstaaten auch die Kopfmehrheit vorsehen. Für die missbräuchliche Nutzung des Instrumentes müsse ein flankierendes Haftungsregime geschaffen werden.
Nach diesem Block ging es in die Mittagspause.
Arbeitsrechtlichen Umsetzungsfragen
Im Anschluss daran wurden die arbeitsrechtlichen Umsetzungsfragen und Best Practise dargestellt. Als Referenten konnten Sebastian Voitsch, Mönig Wirtschaftskanzlei, und Andrej Wroblewski, IG Metall, gewonnen werden. Sebastian Voitsch referierte zunächst über die arbeitsrechtlichen Besonderheiten und Herausforderungen im Pandemie-Zeitalter. Er stellte den Ablauf der Krise im Zeitraffer und die arbeitsrechtlichen Bezüge am Beispiel des Monats März dar. Beeinträchtigungen des Arbeitsrechtes betreffen sowohl den Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer. Dies gilt für Betriebsschließungen, Abstandsregelungen, unterbrochene Lieferketten und Tätigkeitsverbote. Auf Seiten der Arbeitnehmer sind die Kinder- und Angehörigenbetreuung zu nennen. Ein weiterer Aspekt ist die Umstellung der Art der Leistungserbringung. Ferner stellte er die coronabedingten Besonderheiten des Kurzarbeitergeldes dar. Besondere Probleme ergeben sich beim Zusammentreffen von Insolvenzgeld und Kurzarbeitergeld. Das Moratorium nach dem COVID-Abmilderungsgesetz greift nicht für Arbeitsverhältnisse. Abschließend wendete er sich arbeitsrechtlichen Bezügen der Restrukturierungsrichtlinie zu und gab anschließend das Wort weiter an Andrej Wroblewski. Dieser ging in seiner Einleitung darauf ein, dass bei den arbeitsrechtlichen Aspekten aus Arbeitnehmersicht nicht nur die Frage der Entgeltforderung im Raum steht, sondern auch das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortführung der Beschäftigung. Er wies darauf hin, dass die Abhaltung von Sitzungen in Form von Video- und Telefonkonferenzen und auch die Beschlussfassung nach dem BetrVG möglich sind.
Die Besonderheit im Hinblick auf die Restrukturierungsrichtlinie ist aus arbeitsrechtlicher Sicht, dass kein Sonderkündigungsrecht vorgesehen ist, so dass es anders als im Insolvenzverfahren ein solches im Restrukturierungsverfahren nicht geben kann. Ferner sind keine Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung möglich. Bei den sonstigen Arbeitnehmerforderungen besteht ein Einbezug aufgrund der Richtlinie. Allerdings können die Mitgliedstaaten diese sonstigen Arbeitnehmerforderungen aus dem Restrukturierungsverfahren heraushalten. Dies ist auch die Position der Gewerkschaften, da ansonsten die Tarifautonomie direkt tangiert wird.
Gesellschaftsrechtliche Umsetzung
Die gesellschaftsrechtliche Umsetzung und Best Practise stellte Professor Georg Bitter und Jan Gerrit Kehbel dar. Eloquent, sachkundig und unterhaltsam führte Professor Bitter durch die gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten, die sich durch das COVInsAG ergeben. Neben der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und der damit verbundenen Risiken stellte er die Förderung von Neukrediten durch Gesellschafter und Dritte vor. Anschließend übernahm Jan Gerrit Kehbel und wendete sich seinen drei gesellschaftsrechtlichen Kernthemen zu, nämlich der Informationspflicht der Geschäftsleitung gegenüber Gesellschaftern, dem Einfluss der Gesellschafter auf das Restrukturierungsverfahren und die Haftungsfragen im Restrukturierungsverfahren.
Untiefen des Steuerrechts
Nach einer Kaffeepause wurden die Teilnehmer von Professor Christoph Uhländer, Fachhochschule für Finanzen Nordkirchen, auf sehr kurzweilige Art in die Untiefen des Steuerrechts, insbesondere auch des Bilanzsteuerrechts entführt. Zunächst stellte er fest, dass die Restrukturierungsrichtlinie für das Steuerrecht undankbar ist, weil diese kein Steuerrecht enthält. Das ist aber beim Insolvenzrecht auch nicht anders. Geradezu undankbar für das Steuerrecht ist die Corona-Krise, da diese zu einer Aktivität des Steuergesetzgebers und der Verwaltung geführt hat, bei der die Geschwindigkeit bisher einmalig in der Bundesrepublik ist. Er wies auf zwei Änderungsgesetze und zahlreiche BMF-Schreiben hin. Anschließend tauchte er in konkrete Regelungen ein und erläuterte den staunenden Teilnehmern konkrete steuerrechtliche Regelungen an der Schnittstelle Steuerrecht/Insolvenzrecht. So ging er u. a. auf die steuerrechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters nach § 34 AO ebenso ein, wie auf die Baustelle der Freigabe der selbständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren, die, sollte sie nicht zeitnah durch den Insolvenzverwalter erklärt werden, zu sog. Masseverbindlichkeiten führt. Er begrüßte, dass nun feststeht, dass die Sanierungsklausel nicht als Beihilfe angesehen wird und somit nicht gegen EU-Recht verstößt.
Auf die Teilnehmer wartete dann noch der Vergleich der Besteuerung von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften vor dem Hintergrund, dass das sog. Optionsmodell den Weg in die Gesetzgebung gefunden hat, wonach Personengesellschaften wie Kapitalgesellschaften besteuert werden können. Nachdem auch noch die Themen Sonderbilanzen und Ergänzungsbilanzen für die Teilnehmer präsentiert wurden, übergab er das Wort an Markus Wohlleber, Steuerberatungskanzlei Wohlleber. Dieser stellte die fachlichen Hinweise des IDW zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.2019 und deren Prüfung dar. Anschließend behandelte er die Grundsätze für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung nach den Verlautbarungen der BStBK vom 13./14.3.2018 entgegenstehen. Er ging dabei besonders auf die Zielkonflikte der an der Bilanzerstellung beteiligten Personen ein. Mit einem Exkurs zur Haftung beendete Markus Wohlleber den Vortragsteil.
Paneldiskussion
Es schloss sich eine muntere Podiumsdiskussion an, durch die Professor Jens M. Schmittmann auf fachkundige, elegante und unterhaltsame Art führte und an der sich die Teilnehmer durch substantiierte Fragen beteiligten. Anschließend fasste Schmittmann den Tag zusammen und verabschiedete die Teilnehmer.
Prof. Dr. Michael Stahlschmidt, M.R.F. LL.M., MBA LL.M., RA/StB/FAStR/FAInsR, Ressortleiter Steuerrecht BB