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BAG: Ablösung einer Unterstützungskassenversorgung – Gewerkschaft als Arbeitgeberin – dreistufiges Prüfungsschema – sachlich-proportionale Gründe – Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit

Das BAG hat mit Urteil vom 3.5.2022 – 3 AZR 472/21 – wie folgt entschieden:

1. Wenn die Satzung einer Gewerkschaft vorsieht, dass die allgemeinen Arbeitsbedingungen von einer erweiterten Personalkommission, die aus einer Mehrzahl von Personen besteht, mit der Vertretung der Beschäftigten „vereinbart“ werden, werden hierdurch die Regeln über die allgemeine organschaftliche Vertretung der Satzung weder aufgehoben noch modifiziert. Wenn die Satzung die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 30 BGB regeln oder ermöglichen will, muss sie dies hinreichend deutlich tun (Rn. 38 f.).

2. Die Betriebsparteien können rückwirkend eine vormals formunwirksame Betriebsvereinbarung bestätigend wirksam in Kraft setzen, was sich aus der Auslegung der späteren Betriebsvereinbarung ergeben kann. Wenn zur Zeit der Entstehung des Anspruchs hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Ansprüche zulasten der Arbeitnehmer geändert werden sollen, ist das Vertrauen auf den Fortbestand bestehender Regelungen abweichend von typischen Fallgestaltungen nicht schutzbedürftig. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit lassen dann auch abweichend vom dreistufigen Prüfungsschema für Eingriffe in Versorgungsregelungen Eingriffe zu (Rn. 40 ff.).

3. Die Gründe, die einen Eingriff in Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung rechtfertigen sollen, müssen um so gewichtiger sein, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird. Nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes im dreistufigen Prüfungsschema stellen Eingriffe in künftige und damit noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse einen Eingriff auf der dritten Stufe dar.

Grundsätzlich sind sachlich-proportionale Gründe erforderlich, aber auch ausreichend (Rn. 49 f.).

4. Der Senat hält nicht mehr daran fest, dass es bei einer Gewerkschaft als steuerbefreiten Berufsverband in der Rechtsform eines nicht eingetragenen Vereins nicht erforderlich ist, dass die sachlichen Gründe auch proportional sind. Zwar bleibt es den Arbeitsgerichten untersagt, die koalitionsspezifische Verwendung der Gewerkschaftsmittel zu bewerten. Eine Gewerkschaft muss allerdings nach Abwägung der beteiligten Grundrechte darlegen, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen war, dass ohne den Eingriff gewerkschaftliche Handlungsspielräume, die über bereits bestehende und konkret geplante Maßnahmen gewerkschaftlichen Handelns hinausgehen, künftig eingeschränkt werden können. Gewerkschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten müssen dabei so beeinträchtigt werden, dass eine vernünftige Gewerkschaftspolitik dies zum Anlass nehmen kann zu reagieren (Rn. 56 ff.).

(Orientierungssätze)