Am 18.3.2022 hat der schwedische Steuerausschuss die EU-Vorschläge für die globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen kritisiert. Nach umfassender Prüfung kam er zu der Auffassung, dass der Vorschlag gegen das so genannte Subsidiaritätsprinzip verstoße. Der Ausschuss erkennt den Zweck des Vorschlags, Steuerhinterziehung und Steuerwettbewerb entgegenzuwirken durchaus an. Es fehlt ihm aber eine Folgenabschätzung. Der Ausschuss schlug daher dem Reichstag vor, mittels einer durch eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu widersprechen.
Der Gesetzentwurf der EU-Kommission wurde vom Steuerausschuss nach dem so genannten Subsidiaritätsprinzip geprüft. Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass die EU in einem Bereich nur dann gesetzgeberisch tätig werden soll, wenn die Ziele der geplanten Maßnahme nicht auch von den Mitgliedstaaten selbst erreicht werden können. Die Subsidiaritätsprüfung umfasst auch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollten EU-Maßnahmen inhaltlich und formal nicht über das zur Erreichung der Ziele erforderliche Maß hinausgehen. Es geht mithin darum, ob die vorgeschlagene Maßnahme über das hinausgeht, was zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich ist. An diesem Prinzip gemessen, kommt der Steuerausschuss zu dem Ergebnis, dass der Gesetzentwurf der EU zwar den Zweck enthält, Steuerhinterziehung und schädlicher Steuerwettbewerb zu bekämpfen, es fehle aber die Folgenabschätzung, ob die fraglichen Vorschriften über das hinausgehen, was zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich ist. Den Mitgliedstaaten sei es so nicht möglich, zu entscheiden, ob die Maßnahmen zu weit gingen. Insoweit seien hohe Anforderungen an die Gestaltung der Vorschläge zu stellen.
In Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EU-Vertrag) ist die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips festgelegt. Nach diesem wird die Union in Bereichen, in denen sie keine ausschließliche Zuständigkeit hat, nur tätig, wenn und soweit die Ziele der geplanten Maßnahme von den Mitgliedstaaten auf zentraler, regionaler oder nationaler Ebene nicht ausreichend verwirklicht werden können auf lokaler Ebene und daher aufgrund des Umfangs oder der Auswirkungen der geplanten Maßnahme besser auf Unionsebene erreicht werden können. Im Rahmen der Prüfung des Subsidiaritätsprinzips kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit dürfen Inhalt und Form der Regelung nicht über das zur Erreichung der Ziele des Vertrags erforderliche Maß hinausgehen.
Nach Auffassung der Kommission entspricht der Vorschlag dem Subsidiaritätsprinzip, da die Art des Problems eine gemeinsame Initiative im gesamten Binnenmarkt erfordert. Um eine einheitliche Umsetzung der OECD-Musterregeln in der EU zu erreichen, sind Maßnahmen auf EU-Ebene notwendig. Nur durch Gesetze, die zentral erlassen und einheitlich umgesetzt werden, kann das Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet werden. Das gemeinsame Handeln auf Unionsebene stellt sicher, dass die neuen Regeln rechtssicher und mit den Grundfreiheiten der Union vereinbar sind. Die Regelungen verstoßen aus Sicht der Kommission auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Vorschlag geht nicht über das Ziel hinaus, eine effektive Mindestbesteuerung für Unternehmensgruppen sicherzustellen, die die Umsatzschwelle von mindestens 750 Millionen Euro überschreiten und die im Binnenmarkt tätig sind. Der Vorschlag ist auch mit den OECD-Musterregeln und dem EU-Recht vereinbar. Dieser Auffasssung tritt die Regierung Schwedens bei. Sie betont gleichwohl, dass bei den direkten Steuern die steuerliche Kompetenz der Mitgliedstaaten gewahrt bleiben muss. Damit bleibt den Mitgliedstaaten gestattet, eigene nationale Vorschriften einzuführen und beizubehalten. Jeder Mitgliedstaat hat die Erhebung und Verwendung von Steuereinnahmen zu sichern.
In Schweden prüft der Reichstag alle Gesetzesvorlagen der EU-Kommission nach dem so genannten Subsidiaritätsprinzip. Im Rahmen des Subsidiaritätstest bewertet der Reichstag, ob das Ziel eines Gesetzentwurfs am besten durch Entscheidungen auf EU-Ebene erreicht werden kann oder in Schweden durch Entscheidungen auf nationaler Ebene. Dies liegt daran, dass EU-Regeln so bürgernah wie möglich getroffen werden sollen. Daran seien Entscheidungen über neue Gesetze zu messen.
Die entsprechende parlamentarische Sitzung fand am 30.3.2022 statt. Das “Riksdagens snabbprotokoll 2021/22:90 weist 160 Redebeiträge aus. Das Haus billigte den Vorschlag des Ausschusses per Akklamation. Der Reichstag beschloss, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln.
Nun bleibt abzuwarten, wie sich die EU-Institutionen dazu positionieren. Es zeigt sich, dass die globale Mindeststeuer wohl kein Selbstläufer zu sein scheint. Es bleibt spannend!
Professor Dr. iur. Michael Stahlschmidt, M.R.F LL.M. MBA LL.M, RA/FAStR/FAInsR/FAMedR/StB,
Diplom-Betriebswirt/FH lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater, Frankfurt am Main/Medebach.