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BAG: Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen – Mitwirkungsobliegenheiten

Das BAG hat mit Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 – wie folgt entschieden:

1. Der Anspruch schwerbehinderter Menschen auf Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (bis 31. Dezember 2017 § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) unterliegt nicht den unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Auf den Anspruch sind jedoch nach dem Grundsatz der urlaubsrechtlichen Akzessorietät – vorbehaltlich nach § 13 BUrlG zulässiger kollektivrechtlicher oder vertraglicher Vereinbarungen – die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden (Rn. 17).

2. Die Befristung des Anspruchs auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen setzt, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs, grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommt (Rn. 16).

3. Maßgeblich für das Bestehen der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich die objektive Rechtslage. Der Arbeitgeber hat, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Zusatzurlaub gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfüllt sind, an der Verwirklichung des Anspruchs mitzuwirken (Rn. 19).

4. Die Befristung des Zusatzurlaubsanspruchs schwerbehinderter Menschen ist nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es dem Arbeitgeber unmöglich war, den Arbeitnehmer durch seine Mitwirkung in die Lage zu versetzen, den Anspruch zu realisieren. Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und ist diese auch nicht offenkundig, verfällt der Zusatzurlaub auch dann mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist (Rn. 20).

5. Der Arbeitgeber kann regelmäßig davon ausgehen, dass ein Arbeitnehmer ihm seine Schwerbehinderteneigenschaft mitteilt, wenn er den Zusatzurlaub wahrnehmen möchte. Unterlässt der Arbeitnehmer diese Mitteilung, kann er den Zusatzurlaub regelmäßig nicht in Anspruch nehmen. Er wird in dieser Situation nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten, seine Rechte geltend zu machen (Rn. 24).

6. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass die Befristung des Zusatzurlaubs nicht von der Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig gewesen sei, weil er die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers weder kannte noch kennen musste und es ihm deshalb unmöglich gewesen sei, den Arbeitnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben über den Umfang und die Befristung des Zusatzurlaubsanspruchs zu unterrichten, hat er seine Unkenntnis darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (Rn. 25).

7. Dem Arbeitgeber kommen für den Nachweis der Unkenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu Gute. Der Arbeitnehmer hat unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel konkret vorzutragen, auf welche Weise er den Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt hat, oder Umstände zu benennen, aus denen auf die Kenntnis des Arbeitgebers geschlossen werden kann (Rn. 28 ff.). Ein Vortrag „ins Blaue hinein“ genügt hierfür nicht (Rn. 41).

(Orientierungssätze)