Der EuGH hat mit Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18 – entschieden, dass ein Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, kann ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen.
Nach den Ausführungen des EuGH ist zunächst zu prüfen, ob eine in den Rechner zur Motorsteuerung integrierte oder auf ihn einwirkende Software ein „Konstruktionsteil“ im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 darstellt. Der Begriff „Abschalteinrichtung“ wird in dieser Verordnung definiert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff „Konstruktionsteil“ wird in der Verordnung nicht definiert. Nach seinem üblichen Sinn bezeichnet dieser Begriff einen im Hinblick auf seine Einbeziehung in ein funktionales Ganzes hergestellten Gegenstand. Wie aus der Verordnung hervorgeht, bezeichnet der dort definierte Begriff der Abschalteinrichtung „ein“, d. h. jedes Konstruktionsteil. Die Wirksamkeit der Entgiftung hängt mit der Öffnung des AGR-Ventils zusammen, das durch den Quellcode der in den Rechner integrierten Software gesteuert wird. Da sie somit auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert, handelt es sich bei einer in den Rechner zur Motorsteuerung integrierten Software wie der hier in Rede stehenden um ein „Konstruktionsteil“ im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007.
Der Gerichtshof prüft sodann, ob die im AGR-System verwendete Technologie, bei der die Emissionen im Vorhinein, d. h. bei ihrer Entstehung im Motor selbst, verringert werden, unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ im Sinne der Verordnung fällt. In der Verordnung als solcher wird dieser Begriff nicht definiert, aber in ihrer Präambel heißt es, dass es angesichts des mit ihr angestrebten Ziels der Verringerung von Emissionen erforderlich sei, Einrichtungen zur Messung und Kontrolle der bei der Nutzung eines Fahrzeugs auftretenden Emissionen vorzusehen. Ferner wird in der Verordnung das von den Herstellern zu erreichende Ziel einer Begrenzung der Auspuffemissionen festgelegt, ohne die Mittel zu seiner Erreichung näher anzugeben. Sie sieht nämlich vor, dass die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen müssen, dass u.a. die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. Bei den Typgenehmigungen von Kraftfahrzeugenwird die Höhe der Emissionen stets am Auslass des Auspuffs gemessen. Eine Differenzierung zwischen der Strategie, die Abgasemissionen nach ihrer Entstehung zu reduzieren, und der Strategie, mit der sie bei ihrer Entstehung begrenzt werden sollen, kann deshalb nicht vorgenommen werden. Aus der Verordnung Nr. 715/2007 ergibt sich somit, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ sowohl die Technologien und die im Motor der Fahrzeuge ansetzende Strategie zur Begrenzung von Emissionen umfasst als auch diejenigen, mit denen die Emissionen nach ihrer Entstehung verringert werden sollen. Daraus ist zu schließen, dass sowohl die Technologien und die Strategie, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d.h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen –wie mit dem AGR-System –die Emissionen im Vorhinein, d.h. bei ihrer Entstehung, verringert werden, unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ fallen.
Ferner prüft der Gerichtshof, ob eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhangmit dem Ablauf der Zulassungsverfahren erkennt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt, selbst wenn eine solche Verbesserung punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. Er weist darauf hin, dass die Fahrzeuge im Rahmender teilweisen Zulassung in Bezug auf Schadstoffemissionen anhand des NEFZ-Geschwindigkeitsprofils getestet werden, das darin besteht, im Labor vier Cityzyklen, gefolgt von einem Überlandzyklus, zu durchlaufen. Mit ihm lässt sich u.a. prüfen, ob die emittierte NOx-Menge unter dem in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwert
www.curia.europa.euliegt. Die Testzyklen für die Emissionen von Fahrzeugen im Rahmendieses Verfahrens beruhen somit nicht auf den tatsächlichen Fahrbedingungen. Die in Rede stehende Software ermöglicht es, die Parameter zu erkennen, die denen der Labortests anhand des NEFZ-Profils entsprechen, und gegebenenfalls den Öffnungsgrad des AGR-Ventils zu erhöhen, um einen größeren Teil der Abgase zum Ansaugkrümmer zurückzuführen und so die Emissionen des getesteten Fahrzeugs zu verringern. Sie ermöglicht es mithin, die Funktion des AGR-Ventils zu verstärken, damit die Emissionen unter den in der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwertenliegen. Nach einer Prüfung des Begriffs „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Verordnung kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass eine Software, die wie die in Rede stehende Software die Höhe der Fahrzeugemissionen nach Maßgabe der von ihr erkannten Fahrbedingungen modifiziert und die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur unter Bedingungen gewährleistet, die den für die Zulassungsverfahren geltenden Bedingungen entsprechen, eine solche Abschalteinrichtung darstellt. Dies gilt selbst dann, wenn die Verbesserung der Leistung des Emissionskontrollsystems punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. Die Tatsache, dass die normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge ausnahmsweise den für die Zulassungsverfahren geltenden Fahrbedingungen entsprechen und punktuell die Leistung der fraglichen Einrichtung verbessern können, wirkt sich auf diese Auslegung nicht aus, denn unter den normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge wird das Ziel, die NOx-Emissionen zu verringern, für gewöhnlich nicht erreicht.
Zu der Frage, ob der grundsätzlich unzulässige Einbau einer Abschalteinrichtung, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert, gerechtfertigt werden kann, führt der Gerichtshofaus, dass das Vorhandensein einer solchen Einrichtung es, um gerechtfertigt zu sein, ermöglichen muss, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen, und dass nur unmittelbare Beschädigungsrisiken, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen, geeignet sind, die Nutzung einer Abschalteinrichtung zu rechtfertigen. Das in der Verordnung aufgestellte Verbot würde nämlich seiner Substanz entleert und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es möglichwäre, auf unzulässige Abschalteinrichtungen allein mit dem Ziel zurückzugreifen, den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu bewahren. Daraus ist zu schließen, dass eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, damit die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahme von dem in der Verordnung aufgestellten Verbot solcher Einrichtungen fallen kann, selbst wenn die Einrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern.
(PM EuGH Nr. Nr. 170/20 vom 17.12.2020)