BAG, Beschluss vom 1. 2. 2024 – 2 AZR 196/22 (A)
ECLI:DE:BAG:2024:010224.B.2AZR196.22A.0
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:
1. Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), vereinbar, wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt, wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?
2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen gelten gemäß der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion?
(Amtlicher Leitsatz)
1. Kündigt ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der auch nichtkatho[1]lische Arbeitnehmer beschäftigt, einem Arbeitnehmer wegen dessen Beendigung der staatlich registrierten Mitgliedschaft zur katholischen Kirche (Kirchenaustritt), wird der Arbeitnehmer durch die Kündigung unmittelbar wegen der Religion iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt (Rn. 20 f., 30).
2. Es ist aus Sicht des Senats zweifelhaft, ob der nach staatlichem Recht erklärte Aus[1]tritt eines Arbeitnehmers aus der katholischen Kirche ohne Hinzutreten von weiteren Umständen zur Ungeeignetheit der betreffenden Person für den Dienst bei einem der Kirche zugeordneten Arbeitgeber führt. Dieser muss vielmehr nachprüfbare Tatsachen vortragen, weshalb Zweifel daran bestehen, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines geänderten Glaubens oder geänderter ethischen Vorstellungen nicht mehr bereit oder in der Lage ist, den entsprechenden beruflichen Anforderungen seines Arbeitgebers zu genügen (Rn. 36).
3. Es ist zweifelhaft, ob eine nach staatlichem Recht vollzogene Beendigung der Mitgliedschaft in einer verfassten Kirche für sich allein genommen ein illoyales Verhalten eines Arbeitnehmers ist. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu einem der katholischen Kirche zugeordneten Arbeitgeber steht. Beschäftigt dieser auch Angehörige anderer christlicher Religionen oder Weltanschauungen oder Nichtchristen, könnte es für einen der katholischen Kirche angehörenden Arbeitnehmer eine nicht gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion darstellen, von ihm zu verlangen, die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche beizubehalten (Rn. 39).
4. Von der Erklärung über die Beendigung der Mitgliedschaft in der katholischen Kirche erhalten nach nationalem Recht nur die betroffene Kirche und der Arbeitgeber Kenntnis. Letzterer auch nur, damit dieser die zutreffenden Besteuerungsmerkmale berücksichtigt und die auf die Vergütung entfallenden Abzüge zutreffend berechnet. Eine darüber hinausgehende Publizität ist mit der Beendigung der Mitgliedschaft nicht verbunden. Daraus könnte die Annahme folgen, dass nur wenn der Austritt öffentlichkeitswirksam und in unangemessener Weise vom Arbeitnehmer verbreitet wird, hierin ein kirchenfeindliches und damit ein illoyales Verhalten liegt, dass – wie bei anderen Arbeitnehmern – nach Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 der Grundordnung zu einer auf verhaltensbedingte Gründe gestützten Kündigung führen kann (Rn. 40).
(Orientierungssätze)